Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)
ausgezeichneten Restaurant irgendwo außerhalb der Stadt Cassino, spät zu Bett in dem schlechten Hotel, am nächsten Tag (am Freitag, das heißt heute, bzw. gestern, da es schon fünf Uhr morgens ist) mittags im Auto nach Rom, um 14 Uhr – also auf die Minute pünktlich – trafen wir am Eingang des Hotels Hassler ein, wo uns András Schiff erwartete. Zum Mittagessen waren wir seine Gäste. Irgendwo in einem Lokal nahe der Villa Borghese, unser Weg dorthin führte über die Via Veneto. Im Greco am Fuß der Spanischen Treppe tranken wir Kaffee (am Tisch gegenüber zwei attraktive lesbische Frauen), danach versuchten wir auf den überfüllten Straßen spazierenzugehen, was sich als hoffnungslos erwies; plötzlich bemerkten wir einen Pulk; von «Paparazzi» und kahlköpfigen, einander fest an der Händen haltenden Leibwächtern umringt, lief eine blonde Frau in der Straßenmitte (wie sich später herausstellte eine amerikanische Filmschauspielerin namens Sharon Stone), auf ihrem Gesicht fast ein Ausdruck von Panik; mir kam
Der Spurensucher
in den Sinn. Danach hinaus nach Fiumicino und Heimflug nach Berlin. So leben wir jetzt, in den ersten drei Monaten des Jahres waren wir auf Madeira, in Paris, London, Montecassino und Rom, in ein paar Tagen fliegen wir nach Budapest, wo inzwischen
Dossier K.
erschienen ist. Lieber Gott, erbarme dich unser …
Ich arbeite an der
Letzten Einkehr
, wie Beethoven an seinen letzten Streichquartetten gearbeitet haben mag … Das Abstrakteste paart sich hier mit dem ganz und gar Erdgebundenen. Es jetzt zu schreiben, ist nicht vernünftig, weil ich nach
Dossier K.
schlecht mit noch einer weiteren Geschichte herauskommen kann, die in der Autobiographie gründet; ich weiß nicht. Werde dann sehen. Tatsache ist, daß ich dazu große, zu etwas anderem aber überhaupt keine Lust habe. Das muß doch etwas bedeuten.
24 . März 2006 [Budapest] Am Abend ( 23 .) Vorstellung von
Dossier K.
im Radnóti-Theater. László Szörényi, dieser in jeder Beziehung originelle Mensch; Gespräch auf dem Podium, danach im Theaterbuffet. Ich habe es, wenn ich so sagen darf, geistig belächelt, daß jene meiner «Anhänger», die einst glaubten, mich vor ihren politischen Karren spannen zu können, meinen Abend diesmal sozusagen «mieden»;
the political animals
, wie Aharon Appelfeld sie nennt. Diese bösartigen Tiere, die mich verleugnet, geistig beschmutzt und menschlich verächtlich gemacht haben und jetzt offenbar Rache zu nehmen gedenken … Vorher in Berlin Abendessen mit André Schmitz, Tischgespräch über die politische Krise; ich wandte mich gegen die «humanistische» Haltung und sprach von einer tiefen Krise Europas, des europäischen Bewußtseins. Es war, als hätte ich begeisterten Kindern ihr liebstes Spielzeug kaputtgemacht. Ich weiß nicht, ob ich gut daran getan habe.
30 . März 2006 Budapest. László Szörényi, dieser außergewöhnliche Mensch. Sein beschwipstes Geständnis gestern abend nach dem Essen – wieviel Zuneigung klang aus seinen Worten; je mehr ich hier in Budapest verwöhnt werde, desto heimischer bewege ich mich in Berlin. Seltsame Zusammenhänge, unglaubliche Logik meines unlogischen Lebens. Durch mein Alter und mein gelebtes Leben wird jeder Augenblick zu einem festlichen. Magdas beständige Gegenwart, das unsagbare Wunder meines todesnahen Lebens, das sich immer schwerer in Worte fassen läßt … Meine transzendente Dankbarkeit und mein immer befremdlicheres Dasein … Es ist schwer, das alltägliche Leben fortzusetzen, dahin zurückzufinden, die immer kürzer werdenden Tage zu akzeptieren, in denen schon von Tagesanbruch an die nahende Abenddämmerung lauert. Wie lange ist es mir noch erlaubt, hier zu sein?
1 . April 2006 Eine stille Inspiration:
Im Pfuhl nicht begangener Sünden …
Dieser Leitgedanke macht den
Sodomer
vielleicht zugänglicher. – Gestern abend in der Budapester Oper drei Werke von Bartók; ein großer Abend, eine außergewöhnlich schöne, ergreifende Aufführung, und ich dachte daran, wie schön das Leben auch hier sein könnte, wenn … ja, wenn …
2 . April 2006 Freudlosigkeit. Tristesse. Körperlich-seelischer Abbau. Ein trostloser Morgen in Budapest.
3 . April 2006
Die drückende Last nicht begangener Sünden …
10 . April 2006 Baden-Baden, Brenners Hotel; ein kalter, regnerischer Frühling. Wir sind zum Ausruhen hierhergekommen. Gibt es für mich auf dieser Welt noch etwas anderes zu tun? Meine Phantasie schläft.
11 .
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