Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)
früheren Materials:) Die kalte Berührung des Todes. Zuerst des geistigen Todes: Verkümmern von Beziehungen, Reizmangel, Verflachung. Dann das Physische: die Häßlichkeit des Alters. Dann das Alter selbst. Nutzlosigkeit gähnt dich von allen Seiten an. Du entfremdest dich den Menschen, schließlich dir selbst. Du verstehst deine alte Kraft nicht mehr, verstehst die alten stilistischen Abenteuer nicht mehr. Vor allem aber schwindet die Möglichkeit der Korrektur dahin; überhaupt das Dahinschwinden …
7 . Februar 2007 Der Morgen graut. Ich husche auf dem Computer hierhin und dorthin, und manchmal stoße ich dabei auf sinnlos verzerrte oder abgebrochene Texte: glänzender Beweis, daß mein Gehirn zeitweilig aussetzt. – Im übrigen befreunde ich mich immer mehr mit dem Gedanken an die
Letzte
mit der erweiterten Komposition; ich möchte, daß der Entwurf des Lot-Romans Thema der
Letzten Einkehr
wird – wie B. den Roman plant, wie er Parallelen zu Lot findet. Die Analyse des schuldlosen Lebens; die daraus folgende Einsamkeit; die daraus folgende Schuld.
13 . Februar 2007 Sich verschließende Perspektiven. Die Zwillinge. Mein Alter. Die erwürgenden Anforderungen des Ruhmes. Während mir Einsamkeit und Meditation nötig wären. Meine Zweifel bezüglich der
Letzten Einkehr
. Noch ein Tagebuch?! Und ich habe keine andere Wahl, das Buch hat bereits gewählt: mich. Fast lächerlich, aber das einzige wirkliche Problem des Buches ist die Namensgebung. Ich lade sonst den Zorn oder den Kummer von M. auf mich, und beides will ich nicht. Sie wiederum wird nicht die Zwänge verstehen, denen ich unterliege.
15 . Februar 2007 Ich stecke bei Casares fest. Ich stecke überhaupt fest. Die Nachricht von den Zwillingen bedrückt mich. Mit Bestürzung muß ich erkennen, daß ich ein böser alter Mann bin, ein Feind des Lebens, der Fortpflanzung. Gestern rief András Schiff an. Wir schwärmten von Bartók, auch er mochte die Familie nicht. Heute bin ich besonders geistlos.
18 . Februar 2007 Langsam schwindet meine Lust am Tagebuch. Es gibt kein Was und kein Warum. Die
Letzte
umgeben so viele Tabus, daß mir das Schreiben nahezu unmöglich erscheint. Dabei ist der Plan nicht schlecht. Ich versuche ihn darzulegen. 1 .) Ein reguläres Tagebuch, von dem sich herausstellt, daß es B.s Tagebuch ist. Des weiteren stellt sich heraus, daß es um ein Todestagebuch, den Versuch eines Todestagebuchs geht. Übereinstimmungen zeigen sich bzw. das Fehlen von Übereinstimmungen. 2 .) Aphorismen über den Tod, die ich aus dem eigenen Werk zusammensuche. 3 .) B.s Berliner Tagebuch, darin: 4 .) der stilisierte Lot-Roman, d.h. der Roman-Plan als Roman. (Kompliziert. Aber weniger, als es zunächst erscheint.) Er entschließt sich, Schuld auf sich zu laden.
19 . Februar 2007 Rötlicher Sonnenaufgang über Berlin. Eine Hexennacht liegt hinter mir. Mein Vertrauen hinsichtlich der
Letzten Einkehr
ist zerstört, meine Lust dahin, das ganze Unternehmen ist ungewiß geworden. Falls meine Lust doch noch zurückkehren sollte, dann vielleicht dadurch, daß ich im 3 . Teil der Arbeit («B.s Berliner Tagebuch») den Lot-Roman gleichsam vor den Augen des Lesers entstehen ließe, ihn gleichsam auf dem Papier gebäre; ich würde also seine Entstehung erzählen, wie ein «philosophisches Weltmärchen» daraus geworden ist und wie sich der detaillierte Plan entwickelte, aber vom Erzählen selbst absehen. Das heißt ihn bis zur Schwelle tragen, aber nicht mehr den Raum literarischer Prosa betreten …
21 . Februar 2007 Der Fluch der Unsicherheit. Ich kann mich wegen der
Letzten
nicht entscheiden. Verziehe schon das Gesicht, wenn ich sie nur sehe. Sicher ist, daß sie nicht notwendig ist, so wie seinerzeit, sagen wir,
Kaddisch
oder
Fiasko
notwendig waren. Aber diese Notwendigkeit hatte ich mir auch selbst geschaffen, aus dem kläglichen und äußerst dürftigen Material, das mir zur Verfügung stand.
28 . Februar 2007 Verwirrung, Ängste, Depression, Hilflosigkeit, Unfähigkeit. Hexenschuß. Sich verschließende Perspektiven. Einfach:
kein Weiter …
1 . März 2007 … Oder doch? Die Nacht siegt über den dämmernden Morgen. (Das heißt, heute nacht habe ich mich doch für die
Letzte
entschieden …)
5 . März 2007 Gstaad. Gestern Sonnenschein, als sei Sommer. Kurzer Spaziergang mit Magda auf dem vertrauten Hang; das freudige Gefühl des Wiedersehens stellte sich diesmal gleichsam als Herausforderung ein; es gibt ein, zwei Orte auf der
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