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Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Titel: Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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schon den Gedanken an den Tod abstoßend – während ich an nichts anderes denke …
    In der Nacht alte Aufzeichnungen für
Die letzte Einkehr
gelesen; mein Entschluß, lange Passagen aufzunehmen, dadurch noch bestärkt. Dem zweiten Teil gebe ich dann den Titel:
Aus den Berliner Tagebüchern B.s
. Motive: 1 . Der Bettler – 2 . Lot (Schuldlosigkeit als Schuld: Ruth)
    4 . Januar 2007  Madeira. Magda, Sonne und Meer. – Heute morgen habe ich
Die letzte Einkehr
wieder verworfen, zumindest in der Form, in der ich sie mir bisher gedacht hatte. Es reizt mich zu erzählen. Ich könnte die Geschichte von Lot schreiben, in Romanform; als
Der Einsame von Sodom
, wie ursprünglich geplant. B. eventuell als Räsoneur, in der ersten Person Singular. Aber er hieße nicht B. – trotzdem könnte er ein emigrierter Schriftsteller sein. Die Zeitebenen übereinander kopiert, so, wie ich es mir ursprünglich vorgestellt habe. Die Sodomer-Geschichte zugleich Gegenwart, Berlin und die barbarische Kultur sind zeitlich identisch.
    6 . Januar 2007  Noch auf Madeira. Ruhe des Ozeans und des Herzens. Am Nachmittag überraschend ein paar mögliche Anfangszeilen eines möglichen Romans heruntergehämmert. Geduldig abwarten, ob es funktioniert. Diese Arbeit könnte mich vom Persönlichen der
Letzten Einkehr
erlösen, dessen ich einerseits überdrüssig bin, andererseits … (kein andererseits).
    9 . Januar 2007  Rückkehr ins unwirtliche Berlin. Heathrow, die Schrecken des Londoner Flughafens. Zwölf Stunden waren wir unterwegs, kamen spätabends an – aber egal. In letzter Zeit wird die Welt unter meiner Feder (meinem Computer) grau. Als hätte ich das Talent zu plastischem Schreiben verloren, die verzaubernde Kunst der Vergegenwärtigung. Im übrigen habe ich gegen Morgen den Bibeltext gelesen: die Geschichte Lots und Jakobs, der Kampf des letzteren mit Laban. Ich hätte Lust gehabt, die humorvollen Passagen des Thomas-Mann-Textes dazu zu lesen, aber das Buch befindet sich natürlich, wenn überhaupt, in Budapest, in der Wohnung in der Szilágyi-Allee. – Ingesamt aber quälen mich Ängste, «ich liege am Boden», wie der Budapester sagt.
    13 . Januar 2007  Schreiben als Kunst des Schweigens. (Szenen aus der Folge
Die letzte Einkehr.
) An diesem Text arbeite ich, ich weiß nicht, warum. Vielleicht, weil ich mich ein wenig davor fürchte, daß die reine Fiktion mir nicht mehr gelingen könnte.
    17 . Januar 2007  Aus dem bunten Büchlein abgeschrieben: «In der Nacht den umgestalteten Anfang der
Letzten Einkehr
durchgelesen; mit ihm ist, glaube ich, das Schicksal meiner künftigen Arbeit entschieden:
Die letzte Einkehr
, opus magnum ultimum … Die Geschichte meines Todes …»
    20 . Januar 2007  «Das Leben ist ein einziger langer Augenblick», so werde ich meinen Kommentar zu
Ich, der Henker
beginnen; ob ich die Wahrheit schreibe? Noch einmal sind die Zeiten, die Traumata, aufgedämmert, die mich einst zum Sprechen brachten. Beim Einlesen in den Text stieß ich auf ein unglaubliches Stilbewußtsein. Wie hatte ich mir das verschafft? Da kommt ein Wort wie «Talent» gelegen, das gar nichts sagt.
    23 . Januar 2007  Ich kann die ärztliche Visite nicht länger hinauszögern. Die dunkle Warze in meiner Leiste erscheint unheilvoll. – Was ich heute am Morgen in das bunte Büchlein schrieb: «Nach einem Tag des Herumirrens und Untätigseins gelang es mir heute morgen, mich davon zu überzeugen, daß unter meinen Händen allmählich eine ganz singuläre Arbeit Form annimmt …» – Nun, das ist natürlich
Die letzte Einkehr
, dieses Todesbuch, das wirklich eine singuläre Form verlangt, die ich vielleicht – auch mit morgendlicher Nüchternheit – attraktiv und originell nennen darf.
    24 . Januar 2007  Nachts halb eins. Am Abend bei Dr. von Brück – große Erleichterung. Thomas’ ehrliches, freundliches Gesicht. Ich werde nicht versuchen, Details zu beschreiben. Ich war erleichtert, gleichzeitig wurde mir das Chaos bewußt, in dem ich lebe. Egal: die Tatsache ist, daß ich noch ein wenig leben möchte, leben, leben … Man läßt mich nicht recht. Ich lasse mich nicht recht …
    28 . Januar 2007  Morgens halb sieben. Soeben [Beethovens] op. 111 gehört. Meine Seele weitete sich ins Unendliche, würde ich sagen, wüßte ich, was Seele und was das Unendliche ist. Ich fühle eine Art metaphysischer Ermutigung, in der sich Liebe im angemessenen Verhältnis mit Arbeitsverlangen mischt.
    6 . Februar 2007  (Abschrift

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