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Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Titel: Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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hier. Noch am ersten Tag begann ich im Morgengrauen einfach an
Schreibgeschützt
zu schreiben, sofort im Ton von
Sonderbar
. Ich bin gespannt, habe Angst, doch hauptsächlich bin ich froh darüber, sehr sehr froh. Diese Freude unterscheidet sich vom Glück, das eine andersgeartete Freude ist.
    12 . Juli 2007  Gstaad, früher Morgen. Bin mit der Frage erwacht, wie ich überhaupt gewagt habe, Bücher zu schreiben, und wie, sie zu publizieren …
    14 . Juli 2007  Gstaad. Vier dichte Seiten stehen.
Die letzte Einkehr
oder
Schreibgeschütz
t ist begonnen. Ich selbst bin am meisten überrascht. Ein Monolog also, der ins Nichts, in den Tod führt. Gleichzeitig die Zwillinge, diese schreckliche Lebensveränderung, die ich nicht aushalten werde. Familie, Kindergeschrei, Windeln – das kann man doch nicht mit mir machen. Ich weiß nicht, was die Lösung ist, aber ich sollte mich trennen, und all das im Alter von 78 Jahren. Vielleicht sollte ich es nicht so ernst nehmen, das versteckte Leben, das ich über Jahrzehnte führte, könnte mir vielleicht auch jetzt helfen … Bin ich ein schlechter Mensch? Warum? Weil ich mich nicht ergebe?
    17 . Juli 2007  Gstaad. Die Euphorie hat sich als zu früh erwiesen: Der Text ist miserabel, doch Komposition und Figur sind gut. In diesem Teil der Schweiz, irgendwo hier in der Gegend war Béla Bartók, als er das
Konzert für Orchester
oder vielleicht die
Musik
[
für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta
] schrieb.
    23 . Juli 2007  Gstaad. Nichts, nichts. Der wie eine Lawine auf mich zustürzende Tannenwald am Hang. Eine merkwürdige Angst ist bei mir eingezogen, die Angst der Verlierer …
    5 . August 2007  Berlin. Flughafentortouren. Eine Woche hatten wir Vencel zu Besuch. Anfangs störte er mich, später wurde er mir lieb. Mein sonderbares arbeitsloses Leben. Ich kann mich schwer daran gewöhnen, daß ich an nichts arbeite. Das heißt, ich kann mich überhaupt nicht daran gewöhnen. – Absage an das Land Sachsen (ich bin nicht länger Holocaust-Clown). Wer und was bin ich überhaupt? Die uralte, unbeantwortbare Frage. Aber früher trieb sie mich an, jetzt bremst sie mich. Ich weiß nicht, ob meine schlechte physische Verfassung dazu beiträgt. Der Rücken, die Wirbelsäule. Niemand verheißt mir Gutes.
    6 . August 2007  Gestern bei Tagesanbruch, drei Uhr in der Frühe, als ich gerade die Spuren meines ungewissen Tuns im Computer abgespeichert hatte und aus meiner Kapitänskabine auf die kleine Brücke zum Atrium hinausgetreten war, vernahm ich ein Flügelrauschen – in der spärlich beleuchteten nächtlichen Wohnung kreiste mit heftigem Flügelschlag, stumm und in Todesangst ein Vogel. Ich öffnete sämtliche Fenster, die zu öffnen sind, und riskierte dabei, Magda oder den kleinen Vencel im Schlafzimmer aufzuwecken. Der Vogel wollte den Ausweg jedoch nicht zur Kenntnis nehmen und war in wenigen Minuten so erschöpft, daß er sich in die obere Ecke der rechten Fensterseite flüchtete und dort zusammenkauerte, als fürchte er einen Feind. Schließlich kam der Moment der Flucht, er bemerkte eines der geöffneten Fenster und ließ mich ohne Abschiedswort in meinem Schrecken zurück. Es war ein gespenstisches Erlebnis, der Traumdeutung zufolge angeblich ein «schlechtes Vorzeichen» … – Und ebenso gespenstisch ist, daß Kőbányai auf mein starkes Einwirken hin zwei Bücher von Dezső Szomory ediert hat, mit einem Vorwort von Mátyás Sárközi; schon lange habe ich nicht mehr eine solche Genugtuung empfunden.
    7 . August 2007  Ich höre Musik von Ligeti: überwältigend und nichtssagend. An der großen Bildung kommt man nicht vorbei, besonders, wenn man «Schritt halten» will. Daß man diese Musik nicht beurteilen kann, würde ich trotzdem nicht sagen, denn wenn ich, sagen wir, Beethovens B-Dur-Klaviersonate auflege, geschieht auf der Stelle etwas mit mir; und das sicher nicht, weil ich sie liebe. Sie hält mich einfach gefangen. Und das nicht durch ihre Tricks, sondern – wenn ich so sagen darf – ihr Erklingen selbst. L. macht Ausflüchte. Und doch würde ich nicht behaupten, daß er lügt. Er vermag sich nur nicht aus der Verstrickung zu lösen.
    12 . August 2007  Seit zwei, drei Tagen sprudelt es in den Nächten: die endgültige
Letzte Einkehr
. – Ich habe nachgesehen: 3 bis 4 Monate vergehen zwischen meinen Euphorien bei den verschiedenen Fassungen.
    13 . August 2007  Heute: Herzschwäche, der Blutzucker ist abgesunken, ich stopfte mich mit Süßigkeiten

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