Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)
voll; die arme Magda bekam einen Schreck; es täte mir leid, sie hier zurückzulassen – sie ist die einzige, die zurückzulassen mir leid täte –, aber ich sehne mich so danach zu gehen: ein leichter Herzanfall, und man ist nicht mehr.
18 . August 2007 In-Gang-Kommen, Stillstand, In-Gang-Kommen, Stillstand. Leiden, falsche Lebensführung, mangelnder Radikalismus, mangelnde Zeit, mangelnde Fähigkeiten. Ich quäle mich mit der ersten Lot-Reflexion. Geschwollene Beine usw. Der Tod ist nahe, und ich lebe, als gäbe es eine Perspektive von fünfzig Jahren.
26 . August 2007 Nicht mehr vergehende Rückenschmerzen.
27 . August 2007 Heute abend Flug nach Budapest. Gerade, wenn
Die letzte Einkehr
angefangen ist. Alle Umstände sprechen gegen die Fortführung der Arbeit. Die Familie, mein eigener Gesundheitszustand, der geistige Verfall usw. usw. Ich wehre mich kaum noch. Wenn ich im Laufe meines weiteren Lebens diese Rückenschmerzen ertragen muß, würde ich lieber nicht mehr leben. Usw.
29 . August 2007 Budapest. Die Zwillinge sind geboren. Sonderberg wird geboren. Eine «Ungarische Garde» hat sich gebildet. Die Ehe ist in die postsexuelle Kastrationsphase getreten (M.: «Wetten wir, daß Sie sich nicht die Hände gewaschen hatten, als Sie sich zum Essen setzten?» Usw.) Passivität. Dulden. Niemand weiß, was in mir reift, auch ich nicht.
4 . September 2007 Alles, was er hervorgebracht habe, sei dem Alleinsein zu verdanken, sagt Kafka irgendwo (sogar an mehreren Stellen). Ich leide. Leere, Depressionen, unerfüllte Sinneslust, um mich herum aufbrechende Paranoia.
Ich lebe
korrekt
, aber nicht gut.
5 . September 2007 Das Grandiose der Tat. Und mein kleines und kleinliches Leben im Verhältnis dazu. – Lohnt es, wegen eines guten Satzes, eines Gedankens «aus dem Bett zu springen»?
Noch
lohnt es. (Und solange es lohnt, hält mein Leben an. Es ist Punkt sechs Uhr morgens. Meine Augen brennen.)
11 . September 2007 Das gleiche (wie oben). Der Arzt hat mir die Röntgenaufnahmen meiner Wirbelsäule gezeigt. Verengung im Rückgrat. Verengung im allgemeinen. Sonderberg vermasselt. Verengung der Perspektive. Mir stehen schlimme Entscheidungen oder eine noch schlimmere Hilflosigkeit bevor …
12 . September 2007 Zwei Uhr nachts. Das gleiche. (Wie oben.) Es wird sich nicht mehr so leicht verbessern lassen; es ist keine Zeit mehr. – Gestern abend eine Dame aus Frankreich am Telefon: «You are so great …» Wenn sie wüßte, wie genau das Gegenteil davon …
20 . September 2007 Seit einigen Tagen steht das erste Kapitel, die Ouvertüre,
Doktor Sonderberg
… Magda in Budapest. Rückenschmerzen, Gefühl der Vergreisung. Diese Krankheit hat mich mit einem Mal umgeschmissen; von meinem Äußeren, meinen Bewegungen her wirke ich wie ein Neunzigjähriger.
23 . September 2007 Bestätigung des oben Gesagten. Gestern die ältere Dame in der Konzertpause: Sie bedankte sich für meine Bücher. Dann bin ich vielleicht doch nicht der böse Pessimist, als den mich manche sogenannten Kritiker hinstellen. Wie komme ich überhaupt auf so einen Gedanken? Das Ende, das nahe Ende …
28 . September 2007 Drei Tage Barcelona. Die Stadt, das Meer … Große, warme Presse. Mein Übersetzer: Adan Kovacsics, mein Verleger: Jaume Vallcorba. Rückenschmerzen.
29 . September 2007 Aus einem grauenhaften Traum erwacht. Ich hatte Muttermord begangen, dann Flucht in das obdachlose Leben eines Herumtreibers, eines Verfemten. Es schien, als wolle der Traum kein Ende nehmen. – Desolates Allgemeinbefinden. Die Arbeit stagniert, und ich fürchte, sie interessiert mich auch nicht mehr so sehr. Jedenfalls nicht so, daß sie vor den Rückenschmerzen rangieren würde …
30 . September 2007 Eine tiefe, gefährliche Lustlosigkeit, mangelndes Zutrauen; habe mein Urteilsvermögen verloren. – Gestern Abendessen mit Freunden bei Diekmann. Große norwegische Tischgesellschaft. Sie brüllten beschwipst herum, später kauften sie Blumen zur Versöhnung. Es kam heraus, daß ich Nobelpreisträger bin; das hatte noch gefehlt. Wenn mein einzige Leistung meine Befreiung von Ungarn wäre, wäre auch das als Ergebnis ausreichend.
8 . Oktober 2007 Bestimmte Dinge sind entschieden. Ich habe das Manuskript für das Buch (den Fotoband) zurückgezogen, ich lasse ein sinnliches, offenes, persönliches und intim gestimmtes Buch nicht in dem Land erscheinen, das mich schmählich im Stich gelassen hat.
13 . Oktober 2007 Kalter
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