Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)
Banalität ab. Mein Leben wendet sich ins Dunkle, ich muß für meine Dummheiten bezahlen, besser gesagt, sie
ab
zahlen; für eine falsche und verlogene Lebensführung, aus der nur mein Werk herausragt. Ist das nicht genug? Es wäre genug, würden sich nicht auch daran Zweifel knüpfen. Gestern stürzte ich in der kleinen Kneipe, in die wir zum Abendessen eingekehrt waren. Neuerdings stürze ich immer öfter, und das verweist auf die leidige Zukunft: Einmal werde ich gar nicht mehr aufstehen können. Es wird nicht schade um mich sein, es ist an der Zeit, Schluß zu machen. Wenn ich ehrlich Bilanz ziehen will, kann ich mir nichts vormachen: Nur die kurzen Phasen des Alleinseins haben mir im Leben etwas Freude gebracht, die Arbeit, das Schöpferische. Ansonsten war alles Irrtum, feige Stagnation; ich habe alle betrogen, vor allem mich selbst …
Irgendein verrücktes und trauriges Gefühl sagt mir, daß ich aufhören sollte mit diesem Tagebuch-Geknarze, das nirgendwohin führt, nur von meinen Ängsten und meiner Hilflosigkeit zeugt. Auf jeden Fall schadet es mir. – Am Wochenende Salzburg. Die
Walküre
und Haydns
Schöpfung
mit Sir Simon. Anschließend Abendessen mit Landesmanns und Sir Simon. Neue Bekanntschaft, neuer Gewinn.
8 . April 2008 Berlin. Dennoch mache ich weiter (mit dem Tagebuch nämlich). Noch nie eine solche Unsicherheit. Vorgestern trug Beil im Berliner Ensemble vor einem kleinen, aber begeisterten Publikum aus der
Englischen Flagge
vor; es war ein Erlebnis, und ich konnte mich selbst wieder für das Werk, die
Sprache
, begeistern. – Langsam stehen materielle Probleme an; ich habe keine Lust, ein Berliner Obdachloser unter drei Millionen Arbeitslosen zu werden. In Wahrheit habe ich Angst, daß ich mich zurück nach Budapest trollen müßte: Niemals!
12 . April 2008 Der unrühmlichere Abschnitt des Lebens. Nur Marter, nur Elend. Ich habe mich entschlossen, nicht lockerzulassen und die schreckliche Geschichte meiner Demütigung aufzuzeichnen. Vorläufig kann ich nicht hinaus, und zu Hause bringt mich die Depression um. Das Schriftsteller-Boot ist wie in einem Bleimeer versackt. Die Ehe: alle Gereiztheit, alle Frustration einer postsexuellen Beziehung. Ich fürchte um meinen Verstand, mein ganzes schriftstellerisches Œuvre, ich fürchte die Mühsal, den Mangel an Inspiration. Nachts, 2 Uhr 55 . Ich habe Angst vor dem Tod, andererseits könnte ich mir nichts Realeres an Stelle dieses qualvollen Dahinvegetierens wünschen.
21 . April 2008 Langsam entfaltet sich
Die letzte Einkehr
. Gestern morgen las ich M. den vorhandenen Text vor (leider ist es noch sehr wenig). Das laute Vorlesen beruhigte mich.
25 . April 2008 Erhebende Tage (Schreiben); schreckliche Tage (Gesundheit, Rückenschmerzen). Morgen fliegen wir nach Zug, nachdem wir die New-York-Reise abgesagt haben. Das Leben ist banal, katastrophal und schön.
26 . Mai 2008 Kampf mit dem neuen Computer. Der größte Teil meines Lebens: Kampf. Zweifel an meinen Kräften. Usw.
2 . Juni 2008 Soll ich dieses Tagebuch weiterführen? Wozu? Für wen? Rhetorische Fragen. In Wahrheit habe ich Angst vor dieser Chronik des Verfalls …
11 . Juni 2008 Nun wird sich nie mehr aufklären, daß der
Roman eines Schicksallosen
eigentlich nichts anderes als eine literarische Parodie ist. – Stocken im Tagebuch, Stocken im Leben … Im Grunde bin ich ein verhätschelter Luxus-Emigrant, der Mißbrauch mit seiner Situation treibt, mit der ihm erwiesenen Liebe, überhaupt …
6 . Juli 2008 Gstaad. Wenn ich die Fortsetzung dieser Banalitäten von neuem angehe, hat das, wenn auch keinen Sinn, so doch sicher einen Grund. Den letzten Anstoß gab jedenfalls Szilárd Borbélys schmaler Essayband, nicht nur wegen der ausgezeichneten Interpretation des
Kaddisch
, sondern wegen der ganzen Esoterik des Buches; es zeigt, daß wir, wenn wir uns von den unproduktiven Tagesfragen, von der Politik frei machen, sogleich den Werten näher kommen, ähnlich wie bei der Diät, bei der sich auf einmal auch jenes Organ meldet, auf das wir bis dahin nicht achtgaben und das nun Platz für sich beansprucht in unseren Gedanken. Die Probleme der Christologie sind genau die gleichen, von denen ich als unumgängliche moralische Bürde des Holocaust für den christlichen Kulturkreis gsprochen habe.
8 . Juli 2008 Weiterhin Gstaad, dieser zu Tode gemarterte, zu Tode telefonierte und tennisbespielte Schweizer Ferienort, den Magda und ich in den letzten Jahren in unser
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