Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Titel: Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
Vom Netzwerk:
Herz geschlossen haben. Von Luxushotel zu Luxushotel – so hätte ich schon immer gerne gelebt.
    23 . Juli 2008  Wenn man mich nächstens wieder einmal mit Primo Levi, diesem im Grunde genommen schlechten Schriftsteller, nervt, muß ich antworten, daß unsere beiden Bücher zu einem jeweils anderen historischen Zeitpunkt spielen. Sein Buch spielt vor Auschwitz und berichtet aus Auschwitz; meines spielt bereits nach dem Geschehen von Auschwitz und betrachtet die
Folgen
von Auschwitz als seinen Gegenstand.
    30 . Juli 2008  Kurzfristige Lebensziele. Krankheiten; das Bein, Thrombose. «Wenn Gott mit mir ist, wer ist dann gegen mich!?» Alle. Ich korrigiere: alles und alle. Ich bin plötzlich, in kaltem Schweiß gebadet, erwacht. Ich fragte laut, wo bin ich. «In Gstaad», kam als Antwort. Ich versuchte, die Buchstaben zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen: Es ging nicht. Ich kämpfte aber gegen das Hirngespinst an, um nicht etwa noch ins Krankenhaus gesteckt zu werden. Schließlich kam der Arzt. Von dem Ganzen ist ein Gefühl völligen Ausgeliefertseins geblieben, nun, und die Schmerzen im Bein, der Schwindel. Im Wissen um meine Verlorenheit stand jedoch nicht etwas wie zynische Erkenntnis, sondern Angst. Dann sind wir also hierhergekommen: – nach Gstaad. Wenn ich sage: von Gstaad nach Gstaad, habe ich damit meine Situation ziemlich genau beschrieben. Das, was ich sage, sage ich hier schon zum letzten Mal. Inzwischen sage ich schon in der Sprache der Wissenschaft, was ich weiß. Es lohnt also nicht, daß ich weiterrede.
    9 . August 2008  So also sind die letzten Tage … Du bleibst allein und dich erfaßt Angst. Füße wie die von Ödipus, geschwollen, rot, du kannst nicht darauf stehen. Um dich, in dir emotionale Ödnis. Man läßt dich in Stich, raubt dich aus wie einen sterbenden Schakal. Hinter den Masken treten die wahren Züge hervor, die wahre Brutalität, die wahre Gleichgütigkeit, die wahre Habgier. Niemand liebt mich, und ich liebe niemand … Ich liege wie ein weggeworfener Lumpen am Straßenrand. Der Mensch, in dessen Gestalt ich mich gehüllt habe, ist unsympathisch und keiner Beachtung wert. Dazu Ratlosigkeit, kindische Verletztheit. Gedanken, denen ich nicht folgen, Bewegungen, die ich nicht kontrollieren kann.
    10 . August 2008  Ich fürchte, ich muß harte Entscheidungen treffen. Und noch mehr fürchte ich, daß ich sie nicht treffen werde.
    30 . Oktober 2008  Die vergangenen Wochen (Rückenoperation und und die entsprechenden Umstände) kann ich kaum in Worte fassen. Jedenfalls kann ich vom vollkommenen Verschwinden des «Ich-Zustandes» berichten. «Ich» kann ich nicht mehr so verwenden, daß ich unter diesem Wörtchen mich selbst verstehen würde. Das, was in mir den Platz des früheren «Ich» eingenommen hat, ist mir mal völlig fremd und mal auf lachhafte (und schmerzliche) Weise unannehmbar.
    1 . November 2008  Seltsam, daß ich wieder hier in Budapest bin. Hierher hat man mich gebracht, hier wird mich mein Verhängnis ereilen. – Und ich weiß schon, daß mir jede Demütigung und Peinigung zuteil werden wird, welche die Elenden erwarten, die zwar daran gedacht und trotzdem nicht vorher gehandelt, sich also feige und nachlässig gezeigt haben.
    29 . November 2008  Bleiben tatsächlich nur noch ein paar ungewisse Fragen, wie für K. am Ende vom
Prozeß
? Sind meine schöpferischen Kräfte tatsächlich soweit zusammengebrochen, daß ich ihnen gewissermaßen entsagen muß? Habe ich tatsächlich die Verfügungsgewalt darüber, ja, sogar mein Recht darauf verloren, was ich – vielleicht schon bisher irrigerweise – mein «Selbst» nenne? Auf jeden Fall reicht mein Leben nicht an das Niveau meines Werkes heran, und ich will nicht abwarten, bis mein Werk auf das Niveau meines Lebens verkommt.

2009
    23 . Januar 2009  Lange ausgesetzt. Inzwischen gibt es nur noch Aussetzer. Am Abend fliege ich nach Turin. Vor drei, vier Tagen war ich in Paris. Bankrott, Bankrott. Seit neuestem gehe ich mit dem Stock; du mußt dein Leben ändern …
    9 . Februar 2009  [Gstaad] Wie lange noch?! – Ich bin nach wie vor hier, mir gegenüber eine der dickfleischigen, massiven Bergreihen der Alpen – daß mir der Name meines Aufenthaltsortes nicht einfällt, ist allein meine Schuld. Churchill sagte: Ihre Majestät hat mich nicht zum Minister ernannt, damit ich bei der Liquidierung des Britischen Empires assistiere. Und ich bin nicht geboren, damit ich meinen eigenen Verfall registriere, ja,

Weitere Kostenlose Bücher