Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi
seine Armbanduhr, es war kurz nach halb neun. Der Koch setzte sich und bestellte eine Schale Café au Lait.
Nach der dritten Ducal sah er ihn. Manderscheid kam die Rue Genistre heraufgelaufen. Der Kommissar gehörte zu jener Kategorie, die Valérie gerne spöttisch mit der Bemerkung »das ist aber ein schöner Mann« bedachte. In der Tat wäre der Kriminalbeamte wohl ein ganz ansehnlicher Bursche gewesen, hätte er es nicht so übertrieben. Schon wie er lief. Manderscheid ging nicht, er schritt, beinahe stolzierte er die Place d’Armes entlang, so als sei er der Großherzog und wolle gleich eine Militärparade abnehmen. Er hatte wie immer etwas zu viel Gel in seinen halblangen schwarzen Haaren und trug einen etwas zu eng geschnittenen Dreiteiler, den er mit einem etwas zu bunten Pochette aufgepeppt hatte. In seiner Rechten ruhte die unvermeidliche Pfeife. Als der Polizeibeamte sich ihm auf wenige Meter genähert hatte, erkannte Kieffer, dass Manderscheids anderes unverzichtbares Accessoire verschwunden war: Noch vor Kurzem hatte ein schmales Menjou-Bärtchen die Oberlippe des Kommissars geziert. Nun war es verschwunden. Eine Verbesserung, wie Kieffer fand. Vielleicht hatte ihm endlich jemand gesagt, dass er damit aussah wie ein Eintänzer.
Der Polizist schien Kieffer nicht bemerkt zu haben. Er setzte sich zwei Reihen vor den Koch, bestellte Kaffee, nippte, und entfaltete dann mit behaglichem Grunzen das »Luxemburger Wort«. Kieffer wartete einige Minuten, rauchte eine weitere Zigarette. Dann sagte er: »Moien, Kommissär.«
Manderscheid fuhr herum. Er musterte den Koch mit missbilligender Miene. »Moien, Haer Kieffer.«
Dabei zog er das »Kie« in die Länge und spie dann »ffer« hinterher, als handele es sich um eine ansteckende Krankheit.
»Alles an der Rei, Kommissär?«
Anstatt zu antworten, biss Manderscheid auf das Mundstück seiner Bruyèrepfeife. »Was wollen Sie?«
»Ich habe eine Aussage zu machen. Es geht um den Mann, der von der Rouder Bréck gesprungen ist.«
»Aha. Und was haben Sie damit zu tun?«
»Ich glaube, dass er kurz vor seinem Tod bei mir war.«
Manderscheid zog die Pfeife aus dem Mundwinkel, in seinen Augen meinte Kieffer so etwas wie Interesse aufblitzen zu sehen. »In den ›Zwou Kierchen‹?«, fragte der Kommissar.
»Nein, auf der Fouer. Ich habe dort einen Stand.«
Der Polizist nahm einen Schluck Kaffee, schnalzte mit der Zunge und antwortete: »Wir haben die Identität des Mannes ja gar nicht an die Presse gegeben. Woher wissen Sie dann, wer es ist?«
Kieffer schüttelte den Kopf. »Wissen tue ich es nicht.« Er erklärte dem Kommissar, dass der Brückenspringer und der Betrunkene das gleiche Hemd getragen hatten.
Manderscheid legte seine von Geheimratsecken umfriedete Stirn in Falten. »Aha. Und das lässt Sie mutmaßen, dass Sie wieder einem Mord auf der Spur sind. Typisch, Kieffer! Ëmmer iwwerall derbäi sin, hmm? Immer überall die Finger drin haben wollen.«
Er sog ärgerlich an seiner erkalteten Pfeife. »Überlassen Sie diese Dinge lieber uns. Und außerdem«, er grinste triumphierend, »ist die Aufnahme einer Zeugenaussage, wenn Sie denn unbedingt eine machen möchten, operatives Ermittlergeschäft. Ich kümmere mich als Direktor der PJ inzwischen eher um die strategischen Aspekte.«
Kieffer ließ seinen Blick zwischen Manderscheids Kaffeetasse und dessen Zeitung hin- und herwandern. »Ich verstehe. Können Sie mir denn sagen, an wen ich mich bei der Police Grand-Ducale wenden darf?«
»Die zuständige Polizistin ist Inspecteur Joana Galhardo Lobato. Sie erreichen sie in Hamm bei der PJ.«
Kieffer bemühte sich, freundlich zu lächeln. Vermutlich wirkte es wenig glaubhaft. »Merci villmools, Kommissär.«
Manderscheid verschwand hinter seiner Zeitung. »Äddi, Haer Kieffer.«
Der Koch zahlte seinen Kaffee und beeilte sich, das Café Paräis zu verlassen, bevor ihm vielleicht noch eine Beamtenbeleidigung entfuhr. Dann rief er bei der Polizei an, hinterließ dort eine Nachricht für die zuständige Polizistin und ging zurück zum Parkhaus. Noch bevor er den Knuedler ganz überquert hatte, klingelte sein Handy.
»Xavier Kieffer, gudde Moien.«
»Hier Lobato. Sie wollen eine Zeugenaussage zu dem Mordfall machen?« Es klang, als handle es sich bei der Anruferin um eine jüngere Frau. Ihre Stimme war hell und schroff.
Mordfall. Kieffer musste schlucken.
»Sind Sie noch dran?«
»Ja, Entschuldigung, Madame. Das ist korrekt. Ich habe am Samstagabend einen
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