Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi
begutachteten die Pferde, die Frauen und eine Reihe teurer Sportwagen. Kieffer gönnte sich eine Ducal und rief dann Estebans Assistentin an.
»Guten Tag, hier ist Xavier Kieffer. Ich bin gerade angekommen, wo finde ich denn Leo?«
»Hallo, Herr Kieffer. Auf der Sommerterrasse ist ein Tisch für Sie reserviert. Es dauert noch ein wenig, das Spiel hat gerade erst begonnen.«
»Wie, spielt er mit?« Kieffer wusste, dass Esteban ein passionierter Polospieler war. Ihm war aber nicht klar gewesen, dass der Starkoch an diesem Tag selbst im Sattel sitzen würde. Vielmehr war er davon ausgegangen, dass der Argentinier für das Catering der Veranstaltung zuständig war.
»Natürlich«, antwortete die Assistentin. »Es handelt sich um einen Charity-Event, alle Spieler sind Celebrities. Während des Tread-in kommt er zu Ihnen rüber.«
»Während des was?«, fragte Kieffer. Er wusste lediglich, dass man Polo vom Pferd aus spielte und alle Beteiligten in der Regel stinkreich waren. Damit waren seine Kenntnisse der Materie auch schon erschöpft.
»So nennt man die lange Pause zwischen dem zweiten und dritten Zeitabschnitt.«
Kieffer bedankte sich und legte auf. Dann lief er zu der Terrasse, die sich zwischen dem Feld und dem Gutshaus auf einer kleinen Anhöhe befand, setzte sich und wartete. Nach etwa zwanzig Minuten verließen die Spieler das Feld. Über die Stadionanlage bat ein Sprecher die Gäste auf den Rasen. Nun begann offenbar jenes Tread-in, bei dem die Zuschauer die von den Polopferden und -schlägern herausgerissenen Grassoden wieder festtraten.
Dann sah er die Fotografen. Es waren bestimmt fünf oder sechs, und sie umschwärmten einen Polospieler, der gemessenen Schrittes durch die Menschenmenge auf die Terrasse zusteuerte. Der Mann trug eine enge Reithose, Schaftstiefel und ein körperbetontes schwarzes Polohemd. Seinen Helm hatte er sich unter den Arm geklemmt, den Schläger lässig über die rechte Schulter gelegt. Esteban kam auf ihn zugelaufen, doch obwohl die Wegstrecke kaum mehr als zweihundert Meter betrug, dauerte der Vorgang mindestens zehn Minuten. Immer wieder hielt der Starkoch zwischendurch an, um für die Fotografen zu posieren.
Kieffer betrachtete das Schauspiel und verstand nun, warum der Argentinier hier war. Dass Leonardo Gutiérrez Esteban von Ritterdorf das Catering betreute, war eine naive Vorstellung gewesen. Der Starkoch kochte selbst kaum noch, und wenn überhaupt, dann ließ er kochen. Auch die Witwen oder Waisen, für die bei diesem Benefizturnier Polo gespielt wurde, waren nicht der Grund für seine Anwesenheit. Aber ein wichtiger Teil des Esteban’schen Vermarktungskonzeptes war die argentinische Herkunft des Kochs, er betonte sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Und da man kaum etwas so sehr mit seiner Heimat assoziierte wie Polo, konnte Esteban hier unter Beweis stellen, was für ein waschechter Argentinier er war.
Der Starkoch machte einige Schritte und blieb dann wieder stehen, warf seine tiefschwarze Löwenmähne zurück und setzte sein strahlendstes Lächeln auf. Der Mann sah, das musste Kieffer neidlos zugeben, unverschämt gut aus. Diese Playmate-Figur war ein weiterer wichtiger Teil seines Erfolgsgeheimnisses: Esteban war der Brad Pitt des internationalen Küchenzirkus. Leos mehrheitlich weibliche Fans hatten es, so vermutete Kieffer, mehr auf sein Fleisch abgesehen als auf die Steakkreationen, für die der Argentinier bekannt war. Wohl deshalb musste der Mann sich so häufig außerhalb seiner Küche fotografieren lassen, in diesem Fall vermutlich, um jenen Teil seines weiblichen Klientels zu bedienen, der unerfüllte Reitlehrerfantasien hatte.
Dann entfloh der Argentinier plötzlich den Fotografen, die nun von einer jungen Frau zurückgehalten wurden, der Assistentin, wie Kieffer annahm. Sie war ausgesprochen ansehnlich, aber es handelte sich nicht um die Nixe von der Jacht. Esteban beschleunigte seine Schritte und eilte, jeweils zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe zur Terrasse hinauf. Oben angekommen atmete er hörbar aus, so als sei er den ganzen Weg bis hierher gerannt. Kieffer stand auf, um ihm die Hand zu geben. Doch bevor er sich wehren konnte, hatte Esteban ihn bereits an seine nach Männerschweiß, Moschusparfum und Pferdehaaren riechende Brust gedrückt.
»Xavier! Mon frère! Gut, dass du hier bist.« Esteban gab ihn frei, ließ sich in einen Korbstuhl fallen und begann hektisch mit den Fingern zu schnippen. Ein Kellner eilte herbei.
»Wasser
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