Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi
einen Wehrgang gelangte er zur Abbaye de Neumünster und durchquerte deren Innenhof. Nachdem Kieffer einen weiteren Torbogen durchschritten hatte, kam er in einer kleinen Altstadtgasse heraus. Nun musste er nur noch die steinerne Alzette-Brücke überqueren, von der er bereits als kleiner Junge Papierschiffchen und Holzstücke in den Fluss geworfen hatte, um in die Tilleschgass zu gelangen.
Zu Hause angekommen entnahm Kieffer dem Kühlschrank eine Flasche Bofferding und fläzte sich in seinen Fernsehsessel. Das Spiel von PSG war bereits gelaufen, aber er hatte es aufgenommen. Anscheinend war jedoch irgendetwas schiefgegangen, denn als er auf Play drückte, begann der Videorekorder statt des Fußballspiels eine Dokumentation über Weinbergschnecken abzuspielen. Fluchend spulte Kieffer vor, die Schnecken flitzten über die Reben, dann flackerte grelle Werbung über den Schirm, gefolgt von irgendwelchen Trailern. Ungeduldig hielt er die Vorspultaste der Fernbedienung gedrückt. Gleich musste das Spiel starten. Doch statt Saint-Germain folgte eine Kochshow mit Josef Schörglhuber. Der beschleunigte Bayer raste durch eine Showküche und begutachtete anscheinend Speisen, die mehrere Jungköche an ihren Posten zusammenbrutzelten. Kieffer drückte auf Play. Schörglhuber bremste ab und beugte sich gemächlich über einen Teller. »Des schaugt ja aus wia Kraut und Rübn«, nörgelte er. Der Sternekoch führte einen Löffel zum Mund und schmatzte ungehalten. »Und schmecka duats wia eingschlafene Fiaß.«
Kieffer schaltete den Fernseher aus, holte sich zwei weitere Flaschen Bier aus dem Kühlschrank und ging in den Garten. Der letzte Rest sommerlichen Lichts war verschwunden, was ihn aber nicht störte. Völlig dunkel wurde es hier unten ohnehin nicht, dafür sorgten jene Flutlichter, die den Bockfelsen und die nahe gelegene Münsterabtei die ganze Nacht über beleuchteten. Nachdem Schörglhuber und die Schnecken seinen Fernsehabend ruiniert hatten, würde er stattdessen einfach einige Ducal rauchen und Bofferding trinken, bis er die notwendige Bettschwere erreicht hatte. Kieffer lief den schmalen Gartenweg bis zur Alzette hinunter, um es sich in einem der Deckchairs in seiner Laube bequem zu machen. Als er dort ankam, bemerkte er, dass in einem der Stühle bereits ein Mann saß. Er hatte Kieffer den Kopf zugewandt und schien auf ihn gewartet zu haben.
»Guten Abend, Mister«, sagte der Mann auf Englisch. »Es wird Zeit, dass wir reden.« Dann stand er auf und trat in den Lichtschein. Es war Aron Kats.
27
Bei dem Mann, der vor Kieffer stand, handelte es sich ohne Zweifel um Kats, auch wenn sich der Mathematiker seit ihrer Begegnung auf der Schobermesse vor anderthalb Wochen deutlich verändert hatte. Seine Haare schienen kürzer, zudem trug er nun einen stoppeligen, bräunlichen Bart. Kats’ Outfit war ebenfalls modischer geworden, es bestand aus einer verwaschenen Jeans und einem schwarzen Rollkragenpulli. Das John-Lennon-Brillengestell war verschwunden und durch eine randlose Designerbrille mit bläulich getönten Gläsern ersetzt worden.
»Herr Kats?«, stammelte Kieffer.
Der Mann lächelte dünn. »Ja. Aber nicht der, der Sie denken. Setzen Sie sich, dann werde ich es Ihnen erklären. Sie vor allen anderen haben ein Recht darauf, alles zu erfahren.«
Kieffer ließ sich in einen der Liegestühle sinken. Er war sprachlos. Da ihm nichts Intelligenteres einfiel, fragte er: »Wollen Sie vielleicht ein Bier?«
Dann fiel ihm wieder ein, dass der US-Russe ja Abstinenzler war. Aber der Mann, der wie Aron Kats aussah, antwortete: »Ja, gerne. Danke«, und nahm das Bofferding entgegen. Aus seiner Hosentasche zog er ein Feuerzeug und hebelte damit routiniert den Kronenkorken hoch. Dann holte er zu Kieffers Überraschung eine Packung Marlboro hervor und zündete sich eine Zigarette an.
»Mein Name ist Efim Kats. Ich bin Arons Zwillingsbruder.« Sein Gesichtsausdruck verriet, dass es ihm Mühe bereitete, den Namen des Toten auszusprechen. »Wir wollten zusammen Melivia fertigmachen. Mein Bruder hatte einen Plan, einen ebenso brillanten wie komplexen Plan, so wie man es von Aron erwarten konnte. Aber dann ging alles schief.«
»Sie wollten Melivias Algorithmen für den Rohstoffhandel stehlen.«
Kats lachte leise. »Wir wollten viel mehr als das. Und wir glaubten, dass uns niemand aufhalten könne – uns! Kastor und Pollux!« Seine Miene verfinsterte sich. »Nun ist nur noch Kastor übrig.«
»Hat Melivia Ihren Bruder
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