Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi
ermorden lassen?«
»Ja. Mister, diese Kerle sind zu allem fähig. Besonders dieser Scholz. Ex-NVA-Offizier, Spezialeinheit. Wussten Sie, dass er früher für den Sohn Saddam Husseins gearbeitet hat? Und für Kim Jong Il?«
Kieffer konnte spüren, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. »Mein Gott, nein.«
»Ich habe alles zu diesem Konzern recherchiert. Die haben Hunderte, nein, Tausende Menschenleben auf dem Gewissen. Sie sichern sich die Rohstoffe, die sie verkaufen, mit unerbittlicher Härte. Ob Gas, Kupfer oder Nahrungsmittel – diese Typen schrecken vor nichts zurück. Routinemäßig legen sie sich mit Diktatoren und Despoten ins Bett. Und sobald sie die Kontrolle haben, treiben sie die Preise künstlich in die Höhe, um noch mehr Profit zu machen. Wie viele Menschen wegen dieser Geschäfte bereits verhungert sind, weiß niemand.«
»Aber wieso hat Ihr Bruder dann für diese Leute gearbeitet?«
Kats knibbelte am Etikett der Flasche. »Wie ich bereits sagte, hatten wir einen Plan, einen langfristigen Plan, seit mehreren Jahren bereits. Und deshalb haben wir Aron dort eingeschleust, als Agent hinter den feindlichen Linien gewissermaßen.«
»Warum er und nicht Sie?«
Wieder lachte er. Es klang freudlos. »Weil ich der dumme Bruder bin. Nun, das ist vielleicht etwas übertrieben. Mein IQ liegt bei hunderteinundzwanzig. Aber Arons betrug hundertsechsundsechzig. Als er drei war, hat er bereits wiederkehrende Zahlenfolgen auf seinen Malblock gekritzelt. Mit viereinhalb begann er, sich durch die umfangreiche Büchersammlung unseres Vaters zu fressen und danach durch die Saltykow-Schtschedrin-Nationalbibliothek. Das war noch in Leningrad, also Sankt Petersburg, bevor wir nach Amerika emigriert sind. Aron lebte in einer völlig anderen Welt, einer mathematischen Welt.«
»Ich habe gehört, er sei ein Synästhetiker gewesen.«
»Das stimmt. Ich könnte Ihnen für jede Zahl zwischen Eins und Hundert sagen, welche Farbe, Form und Textur sie Aron zufolge hatte. Er sah die Dinge anders als andere Menschen. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, waren wir unzertrennlich. Wir liebten die gleichen Dinge. Die griechische Antike zum Beispiel.« Efim Kats wischte sich eine Träne aus dem Auge. »Kennen Sie den Film ›Kampf der Titanen‹?«
»Ich fürchte nein.«
»So ein alter Hollywood-Kostümschinken, wir liebten ihn. Besonders die Szene, wo sich die Götter auf dem Olymp versammeln. Sie waren fürchterlich schlecht kostümiert, mit angeklebten goldenen Rauschebärten. Aber das haben wir damals natürlich noch nicht bemerkt. Und die Götter schauen hinunter auf eine Miniaturlandschaft, sie können von da oben die gesamte Welt erfassen. Immer, wenn der Film zu Ende war – wir müssen ihn mindestens fünfzigmal gesehen haben – sagte mein Bruder: ›Wenn ich groß bin, dann werde ich auch verstehen, wie die Welt funktioniert‹.«
Er schaute Kieffer an. »Zumindest einen Ausschnitt hat er erfassen können. Aron kannte die Wahrheit.«
»Die Wahrheit dieser Quant-Mathematiker, meinen Sie?«
»Sie denken sicherlich, wir hätten diese Algorithmen gestohlen, um uns zu bereichern. Aber Aron ging es nie ums Geld. Er wollte nur verstehen, wie der Markt funktioniert, er wollte ihn vollständig modellieren, in Gänze auf eine Festplatte bannen, mit seinen Algorithmen und Formeln. Und er hat es geschafft. Zum Schluss besaß er tatsächlich die Wahrheit, auch wenn sie anders aussah, als er sich das wohl ursprünglich vorgestellt hatte.«
»Sie meinen diese gehackte Börsensoftware auf dem Tablet?«
Efim Kats schüttelte kaum merklich den Kopf. »›Soft Red Winter‹ war nur ein kleiner Probelauf für etwas viel Größeres. Wissen Sie, Mister, mit dieser Quant-Wahrheit ist es so eine Sache. Der globale Finanzmarkt ist ein so vielschichtiges und chaotisches Gebilde, dass es schwierig ist, ihn vollständig in Computeralgorithmen darzustellen. Aron und ich haben uns auch deshalb für den Rohstoffmarkt entschieden, weil der kleiner und überschaubarer ist als der Aktienmarkt. Dennoch erwies sich die Sache als mathematisch unlösbares Problem. Zu viele Variablen, zu viele Unbekannte, haufenweise verdeckte Markov-Prozesse. Selbst ein Superhirn wie mein Bruder kam nicht vollständig dahinter. Sicher, sein partielles Erklärungsmodell hat ausgereicht, um einen Haufen Geld zu verdienen. Aber das war es ja nicht, was er wollte. Er wollte es ganz verstehen. Also haben wir einen anderen Weg gewählt, um diesen Stein der Weisen
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