Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi
Immer, wenn die Abgeordneten zu einer Plenarsitzung in Straßburg zusammenkamen, leerten sich die Luxemburger Büros des EU-Recherche- und Übersetzungsdienstes und mit ihnen Kieffers Restaurant. Die Spesenritter tafelten diese Woche im Elsass, nur Pekka Vatanen war irgendwie hängen geblieben, er saß wie immer auf seinem Hocker an Kieffers Bar und schlotzte ein Glas Rivaner nach dem anderen in sich hinein. Als sich der Koch gegen halb elf zu seinem Freund gesellte, hatte der Finne bereits die zweite Flasche Coteaux de Remich in Angriff genommen.
Damit sie nicht hungern mussten, hatte er aus der Küche einen großen Teller voller Friture de la Moselle mitgebracht – kleine, in Teig ausfrittierte Flussfischchen, die man im Ganzen aß. Erfreut griff Vatanen zu. Erst, als sie einige der Fischchen verknuspert hatten, begann Kieffer seinem Freund zu erzählen, was in dem Lityerses-Gebäude vorgefallen war.
»Diese Jungs sind aalglatt, Leibkoch. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das, was auch immer sie genau getan haben, nie herauskommen wird.«
Kieffer griff sich noch einen Fisch und träufelte etwas Zitronensaft darüber. »Leider hast du wahrscheinlich recht. Ein Konzern, der in Südamerika Gewerkschafter und Oppositionelle abmurkst, kann vermutlich auch einen seiner europäischen Exangestellten verschwinden lassen, ohne dass es sich nachweisen lässt.«
Vatanen schenkte sich nach und goss auch Kieffer einige Fingerbreit ins Glas. »Wenn sie es waren. Das ist doch keineswegs ausgemacht, oder? Vielleicht ist Kats auch gesprungen.«
»Mein Gefühl sagt mir etwas anderes. Aber jetzt«, Kieffer legte seine Hände auf den Tresen, »gehe ich nach Hause. Die restliche Friture hast du ganz allein für dich.«
Der Finne musterte ihn misstrauisch. »Du hast doch noch irgendwas vor, Küchenmeisterdetektiv. Kleiner Einbruch bei Lityerses? Konspiratives Treffen mit dieser Kommissarin?«
Er kicherte anzüglich. »Sieht sie eigentlich gut aus? So eine Motorradbraut, also ich meine …«
Kieffer schüttelte den Kopf. »Mein Typ wäre sie nicht. Und ich habe überhaupt nichts vor, ich bin einfach nur todmüde. Außerdem habe ich wegen diesem Mist bereits mehrere Spiele verpasst. Ich werde mich deshalb heute Abend mit einigen Fläschchen Bier aufs Sofa setzen und mir die Zusammenfassung angucken. Und dann gute Nacht.«
Der Finne zog leicht angewidert die Mundwinkel nach unten. »Fußball. Wie uninteressant. Spielen die Luxemburger etwa bei irgendeinem Pokal mit? Das hätte doch sogar ein Fußballhasser wie ich mitbekommen müssen, eure Zeitungen wären randvoll davon gewesen.«
Vatanen spielte auf den Umstand an, dass die Luxemburger Nationalmannschaft nur sporadisch an internationalen Wettbewerben teilnahm, weil sie in der Regel bereits vor der Vorrunde ausschied. Der fußballbegeisterte Koch erinnerte sich mit Grauen an die Achtzigerjahre, als die Roten Löwen über dreißig Begegnungen in Folge verloren. Als Luxemburg vor einigen Jahren ein WM-Qualifikationsspiel gegen die Schweiz mit Hängen und Würgen gewonnen hatte, war im ganzen Land Jubel ausgebrochen. Trotzdem liebte er seine Mannschaft. Um sich das eine oder andere zusätzliche Erfolgserlebnis zu verschaffen und weil er mehrere Jahre in Paris gewohnt hatte, verfolgte Kieffer außerdem seit Längerem die Spiele von Saint-Germain. Allerdings war auch das in den vergangenen Jahren nicht immer eine Freude gewesen.
»Luxemburg hat nichts gewonnen«, beantwortete er die Frage seines Freundes. »Ich gucke mir PSG an.« Dann füllte er noch etwas frisches Eis in den Kühler von Vatanens Weißweinflasche. »Bis morgen, Pekka.«
Kieffer verabschiedete sich und verließ das »Deux Eglises«. Da sein Wagen immer noch vor seinem Haus in Grund parkte, ging er zu Fuß. Während Ortsunkundige aufgrund der außergewöhnlichen Topografie Luxemburgs vor allem in der Unterstadt immer wieder buchstäblich vor die Wand liefen, kannte Kieffer jeden Schleichweg. Sein liebster führte von seinem Restaurant in Clausen nach Hause. Zunächst spazierte er die leicht abschüssige Rue Wilhelm hinab, in Richtung Clausener Zentrum. Statt, wie die meisten Leute, die Rue de la Tour Jacob nach Grund zu nehmen, wählte Kieffer den schmalen Fußweg, der hinter den Rives de Clausen direkt am Fluss entlangführte. Er lief unter der hohen Eisenbahnbrücke hindurch, welche die ville basse überspannte und gelangte zu den Resten der alten Befestigungsanlage, die quer durch das Alzette-Tal lief. Über
Weitere Kostenlose Bücher