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Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi

Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi

Titel: Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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herrschte wegen der Sitzungswoche Grabesstille. Dort war unter anderem der EU -Parlamentsdienst ansässig, der dafür zuständig war, die Abgeordneten mit Zahlen und Fakten zu munitionieren. Die meisten Mitarbeiter waren den Deputierten nach Brüssel gefolgt, wo die Ausschüsse des Parlaments tagten. Die wenigen Zurückgebliebenen nutzten die Abwesenheit ihrer Vorgesetzten, um bereits nach dem Mittagessen still und heimlich die verwaisten Büros zu verlassen.
    Erst in der nächsten Woche kam der EU -Wanderzirkus wieder nach Luxemburg. Dann würde sich auch das »Deux Eglises« wieder mit zahlungskräftigen Deutschen, Litauern und Italienern füllen. Bis dahin blieb Kieffer nichts anderes übrig, als ein bisschen aufzuräumen, die Buchhaltung zu erledigen und seine Bestände an Nahrungsmitteln, Gewürzen und Wein zu überprüfen. Vor allem Letzteres war an einem sonnigen Septembertag wie diesem eine durchaus erfreuliche Perspektive für den weiteren Abend.
    Er wischte gerade den letzten Tisch ab, als Claudine die Terrassentür öffnete. Die junge Frau schaute nervös. Claudine arbeitete seit vier Jahren als gardemanger in seiner Küche. De facto konnte sie jedoch alles zubereiten, was auf der Speisekarte stand. Kieffer hatte geplant, ihr an diesem Abend die Küche zu überlassen und sich mit den Bestelllisten sowie einer Flasche fruchtigen Auxerrois’ auf die sonnenbeschienene Terrasse zu setzen. Als Claudines Blick den seinen traf, ahnte er, dass daraus nichts werden würde.
    »Wir haben einen Gast, den du dir besser mal anschaust, Xavier.«
    »Warum? Ist etwas Besonderes an ihm? Gehört er zur großherzoglichen Familie? Oder, noch schlimmer, zur EU -Kommission?«
    Claudine rollte mit den Augen. »Ich glaube, es ist ein Kritiker. Er sieht so aus. Franzose, übellaunig, mustert die Karte wie ein Buchprüfer.«
    Kieffer setzte die Stühle ab und sah sie überrascht an. »Ist er mit dem Auto gekommen? Hast du seinen Wagen überprüft?«
    »Ja, natürlich. Ein großer Peugeot, französisches Nummernschild.«
    »Département?«
    »38. Isère.«
    Kieffer nickte bedächtig und zündete sich eine Ducal an. Viele Franzosen rümpften die Nase über die Luxemburger Küche, da sie ihnen als zu vulgär, zu derb oder anders gesagt: als zu deutsch erschien. Dennoch waren französische Gäste im »Deux Eglises« keine Seltenheit. Meistens wiesen die Nummernschilder ihrer Autos jedoch den Pariser Départementcode auf, die 75. Oder die 67 für Straßburg.
    Aus dem Verwaltungsbezirk Isère und seiner Hauptstadt Grenoble verirrte sich hingegen kaum jemand in das abgelegene Restaurant. Touristen oder durchreisende Geschäftsleute kamen selten hierher. Das Gros der Ausflügler blieb in den Touristenfallen am Place d’Armes kleben; und selbst die abenteuerlustigen unter ihnen, die von der ville haute in die ville basse hinunterfuhren, landeten in jenen kleinen hippen Brasserien, die sich um die restaurierte Brauerei in der Mitte des Unterstadtviertels Clausen angesiedelt hatten.
    Kieffers Restaurant zu finden war ohne fundierte Ortskenntnisse nahezu unmöglich. Laufkundschaft hatte er deshalb keine, und selbst mit dem Auto war sein Spezialitätenlokal schwer zu erreichen. Es lag zwar nur ein paar Hundert Meter von der Innenstadt entfernt. Doch aufgrund der steil abfallenden Felswände, die Luxemburgs Ober- und Unterstadt voneinander trennten, musste man zunächst das Stadtzentrum verlassen und auf den östlich des Zentrums gelegenen Kirchberg fahren, um dann durch eine unscheinbare Durchfahrt neben der Philharmonie auf ein abschüssiges Sträßchen namens Milliounewee zu gelangen, das sich den steilen, zugewucherten Hang hinunter ins Alzettetal wand.
    Diese Serpentinenstraße endete nach einigen Hundert Metern vor einem kleinen mittelalterlichen Stadttor, das für größere Autos kaum passierbar war. Hatte sich der Fahrer durch das Nadelöhr gezwängt, ging es nur noch im Schritttempo weiter; der Weg am Hang wurde nun noch schmaler und war zudem unbeleuchtet, sodass man vor allem abends leicht die zwei kleinen blauen Laternen verfehlen konnte, welche die Einfahrt zum Parkplatz markierten.
    Kieffer zündete sich noch eine Zigarette an. Niemand schneite zufällig hier herein, und das Nummernschild des Peugeot war höchst verdächtig. Jedermann wusste, dass das Gros französischer Leasingfahrzeuge und Mietwagen eine 38 auf dem Nummernschild hatte, weil der größte Autoverleiher Frankreichs dort seine Pkws zuließ. Jeder Gastronom wusste

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