Letzte Fischer
Hand auf die stachlige Haut zu schlagen. Er starrte auf das reflektierende Metall des Arbeitstisches.
War das ein Zeichen?
Hoffte er jetzt schon auf Zeichen? Vielleicht sollte er zum Betraum gehen? Der dreiseitige Schrein dürfte jetzt doch leer sein, an dessen einer Seite das Kreuz hing. An der anderen Seite befand sich der Stern und an der dritten der Halbmond. Den ganzen Schrein hatte Haudegen auf ein Rolllager montiert, so dass auch die Moslems unabhängig von der Fahrtrichtung immer nach Mekka beten konnten. Robert war unschlüssig, dachte dann aber: ›Nein, ich werde allein entscheiden müssen. Diese Entscheidung muss ich selbst treffen.‹
Robert Rösch zog auch den anderen Handschuh aus, warf die wertlose Haut und den Kadaver auf den Hallenboden und ging wortlos hinaus. Er geisterte durchs Schiff und hörte nicht auf die Aufforderung, sich sofort zu melden, die durch die vielen Bordlautsprecher drang.
In jedem Winkel des Trawlers klang der Satz nach, Verarbeiter Rösch habe sich sofort zu melden, und alle hundertsechsundsiebzig Besatzungsmitglieder verstanden die Bedeutung: Rösch, dieser Versager, hatte sich verpisst! Die schönen Dollar!
Doch dann brach das erneute Kommando des jungen Dritten Offiziers, Rösch solle sich melden, mitten im Satz ab, und überall auf dem Schiff runzelten die Männer kurz die Stirn. Sie machten sich jedoch keinerlei Sorgen und arbeiteten weiter, während Rösch durchs Außenschott stieg, um aufs Oberdeck zu treten.
Der kleinwüchsige Pirat stand so plötzlich vor ihm, dass Robert überrascht auflachte, ehe ihm, bedingt durch den Unterleibstritt, die Luft wegblieb.
Erschrocken starrte sie auf die Fotos. Mathilde hörte dem Meeresforscher zu, der im Auftrag von Greenpeace und der Partei ›Bündnis 90/Die Grünen‹ einen Vortrag über die globale Fischzucht hielt. Eingeladen worden war er vom Verein ›Societät Rostock maritim‹.
Der Veranstaltungsraum des Rostocker Schifffahrtsmuseums war brechend voll, so dass Mathilde in der vorletzten Reihe nach vorn gebeugt dasaß und mit offenem Mund dem Bericht des Wissenschaftlers folgte, der gerade über die Lachsfarmen in Südchile referierte:
»Noch vor dreißig Jahren gab es in den Flüssen und Fjords von Chile keine Lachse. Dieser Fisch war dort gänzlich unbekannt. Er wurde aus dem Atlantik eingeführt. Aus Ländern wie Schottland, Kanada oder auch Norwegen. Die ersten Fische waren kräftige und gesunde Exemplare, sie gediehen gut in der fremden Landschaft, weil sie damals noch, ganz wie es ihre Natur ist, zum Laichen gegen den Strom der Flüsse anschwimmen konnten.
Das änderte sich jedoch bald.
Heute schwimmen die Lachse träge im Kreis, eingesperrt in schwimmende Gefängnisse vor der Küste Chiles. Im Gedränge dieses Käfigs wartet nichts als der Tod, und der Sog dieses Sterbens zieht die Menschen mit sich.
Ehemalige Hochseefischer, Männer und Frauen wie Sie, die sich eine neue Existenz aufbauen wollten, haben die Rechnung ohne die Fischfabrikbesitzer gemacht; ohne Giganten wie ›AquaChile‹ oder ›Pacific Star‹, weltweit operierende Unternehmen, die lediglich profitorientiert vorgehen.
So entstanden in den Kanälen und Buchten vor Südchile neue Monokulturen, umgrenzt von Bojen, Zäunen und Kontrollstationen. Diese Gehege reichen mindestens fünfundzwanzig Meter in die Tiefe. In ihnen tummeln sich zwischen fünfzig- und hunderttausend Zuchtlachse, von denen nur noch wenige überhaupt einmal aus dem Wasser springen. Ihnen ist all ihre Natürlichkeit genommen, nur damit die Menschen in Europa billigen Kunstlachs verzehren können, der eigentlich gar kein Fisch mehr ist wie wir ihn kennen.
Wie Schneekanonen verteilen Mastmaschinen dabei tonnenweise Fischmehl. Um ein Kilogramm Lachs zu erhalten, müssen fünf bis acht Kilogramm Fisch verfüttert werden; Beifang, oder wie Sie, liebe Hochseefischer, es früher genannt haben, Müllfisch. Mittlerweile wird aus den Ozeanen alles geholt, was irgendwie fischähnlich ist, um es zu Mehl für die Kunstfische zu verarbeiten. Das Problem ist, dass nun auch ein Abnehmer für den Beifang gefunden ist. Dies heißt, dass in den Ozeanen immer mehr Fischarten aussterben, die wir eigentlich gar nicht zum Ernähren der Menschen brauchen. Vielleicht steckt schon in diesem Fischmehl die Ursache für die vielen Epidemien, von denen gefangene Fische immer wieder heimgesucht werden.
Die aktuelle Krankheit, an der diese Lachse hier leiden, nennt sich ›infektiöse Salmanämie‹,
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