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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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ihrer Fließbänder, von denen das Blut des Thuns tropfte. Die Männer zogen sich die Handschuhe aus, zeigten Rösch den erhobenen Daumen und machten sich wieder an die Arbeit. Minutenlang lächelten sie noch, war doch jeder von ihnen nun um Tausende US-Dollars reicher.
    Rösch holte die nächste Kurznasenseefledermaus aus dem Eimer und legte sie vor sich auf die Verarbeitungsfläche. Den gehäuteten und noch zuckenden Kadaver mit dem unbeschädigten und weiter nach Luft schnappenden Maul stieß er auf den metallenen Boden.
    Von diesem ekligen Anblick hatte er schon oft geträumt. Der gehäutete aber für ein paar Minuten noch lebenstaugliche Fisch mit dem offenen Maul und den lidlosen Augen, dieser Anblick war dem Kurznasenseefledermausspezialisten schon oft im Traum erschienen.
    Manchmal sogar sprechend.
    Doch waren jene Sätze nie anklagend gewesen, sondern immer beratend. Rösch überlegte, während er auf die etwas kleinere Seefledermaus blickte, die gerade erst geschlechtsreif geworden war, wie er routiniert feststellte, und erinnerte sich, dass es immer gute Ratschläge gewesen waren, die ihm die Seelen der gehäuteten Tiere im Traum gegeben hatten. Manch einen hatte er sogar befolgt, sofern er ihn vom Niemandsland hatte mitbringen können. Was würden ihm diese Seelen raten? Würden sie ihm im Traum erscheinen? Könnten sie ihm bei seiner bisher schwersten Entscheidung helfen? An Bord bleiben oder zum Fischwirt werden? Robert Rösch lächelte plötzlich, konnte er sich doch auf einmal ganz gut vorstellen, was sie ihm raten würden. Er solle unbedingt an Land bleiben, er solle unbedingt auf einer Fischfarm anheuern, er solle sie auf jeden Fall in Ruhe lassen, die See und die Fische.
    »Ja, ja«, sagte er leise: »Das hättet ihr wohl gerne!«
    Dann warf er den Fisch wieder zurück in den Eimer, war doch das Signal zur Mittagspause erklungen. Er nahm den Eimer und die erste Haut an sich und brachte beides zum Kapitän, der das Mitgebrachte sofort in die Minibar stellte und sie verschloss.
    »Warum die Südfranzosen wohl so viel Geld für diese Lappen bezahlen?«, fragte der Kommandant der Saudade , ohne aber eine Antwort zu erwarten.
    »Keine Ahnung«, sagte Robert: »Ich will es auch gar nicht wissen. – Vielleicht mischen sie es ja ihrem Teufelszeug bei?«
    »Welchem Teufelszeug?«
    »Einer hat es ›das dritte Auge des Dichters‹ genannt.«
    »Ach so, du meinst Absinth!«, sagte der Kommandant, ehe er meinte, er habe gehört, das Purpur werde für Weltraumraketen gebraucht. Er brachte seinen Spezialisten zum Schott der Kabine. Diesen Rösch wollte er unbedingt an Bord behalten! Solange er selbst auf einem Trawler war, sollte auch Robert Rösch bleiben. Der Kapitän entschied sich, den Verarbeiter langfristig unter Vertrag zu nehmen. Dass er daran nicht schon eher gedacht hatte! Er schlug Robert zum Abschied freundschaftlich auf die Schulter, schloss wieder das Schott hinter ihm, um sogleich zum Schreibtisch zu gehen und einen Vertrag zu entwerfen, während Robert sich zur Messe aufmachte, um seine Mittagsportion zu holen. Er wurde mit einem Ständchen begrüßt. Die fast siebzig Männerkehlen der Backbordwache krächzten: »Eine geht noch, eine geht noch, eine geht noch ab, ab, Käp’ten: ahab!«
    Und da sollte er Fischwirt werden? Bei solch einem Ständchen, das ihm seine Kollegen vor drei Stunden dargebracht hatten? Robert Rösch stand wieder vor seinem blanken Metalltischchen in der Verarbeitungshalle vier und beobachtete die letzte Kurznasenfledermaus.
    Die anderen Häute hingen über seinem Kopf, eingehüllt in die Kälteschwaden der Halle.
    Zwar hatte er für die Entscheidung noch fünf Monate Zeit, sie waren ja erst seit ein paar Stunden auf See, aber Rösch glaubte, je eher er sich entscheide, umso besser sei es für alle.
    Doch konnte er es? Wie sollte er vorgehen? Aus seiner Zeit als ewiger Student wusste er, er musste sich eine Liste machen.
    Eine Liste war zwar hilfreich, aber hieß das nicht, die See gegen die Frau auszuspielen? Oder die Frau gegen die See?
    Und genau das war es ja, was er keiner von beiden antun konnte! Er konnte doch nicht Gefühle zu Gedanken machen, um diese dann durchzustreichen. Oder doch? Ein ewiger Teufelskreis , der ihm schon die Diplomarbeit gekostet hatte.
    Vom Verstand her sprach natürlich eine ganze Menge dafür, an Land zu bleiben. So bestand wenigstens nicht die Gefahr, so verrückt wie uralter Richard oder so ein Wirrkopf wie Opernsänger zu werden. So

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