Letzte Fischer
kurz ›ISA‹. Die Fischverarbeitungskonzerne, die von Chile aus Verbraucher rund um den Globus versorgen, behaupten, dass ›ISA‹ für Menschen ungefährlich ist, dabei liegen noch keinerlei Langzeitstudien vor. ›ISA‹ ist ein Killer, der den Fisch innerlich verblutet lässt. Schon Millionen von Fischen sind an ›ISA‹ qualvoll zugrunde gegangen, und so steht die zweitgrößte Zuchtwirtschaft der Welt, die von Chile nämlich, heute am Rande des Kollaps. Dabei ist ›ISA‹ nicht der erste Notfall. Vor ›ISA‹ war es ›SRS‹, eine pestähnliche Infektion. Davor war es ›IPN‹, ein entzündlicher Ausschlag, verursacht durch Seeläuse namens Caligus, die auf den Fischen Geschwüre hinterlassen. Ähneln diese armen Fische, die Sie hier sehen, nicht dem Glöckner von Notre Dame, meine Damen und Herren?
Ich finde, ja.
Doch die Bedrohung kommt auch von den Algen, die bakteriell vergiftet sind und geradezu wuchern. Diese Bedrohung wird Rote Flut, ›Marea Roja‹, genannt.
Bekämpft wurden all diese Epidemien mit Unmengen von Antibiotika und Pestiziden, was aber alles nur noch schlimmer machte. Die Zeitschrift ›Visión Agrícola‹ nennt dies alles: ›die sieben Plagen‹.
Vor dreißig Jahren war die Zuchtindustrie für Chiles südliche Region eine Verheißung, ehe der Exzess zur Katastrophe wurde. In der strukturschwachen Region entstanden Tausende von Arbeitsplätzen, ganze Städte wurden aus dem Boden gestampft. Die Fische aus den importierten Lachseiern wurden für das Land zum wichtigsten Exportschlager. Milliardengewinne und noch einmal Zehntausende neuer Arbeitsplätze.
Investoren standen Schlange; ›Marine Harvest‹, ›Aqua-Chile‹, ›Aguas Claras‹, ›Mainstream‹, ›Pacific Seefoods‹, ›Multiexport Foods‹, ›Salmon Pacific Star‹; und besonders die Norweger, die zu Hause eine so strenge Qualitätskontrolle haben, tobten sich in Chiles Region der Fjorde aus. Die Landschaft ist hier ähnlich wie in Norwegen, jedoch hat Chile zwei enorme Vorteile: lasche Umweltgesetze und billige Arbeitskräfte.
Dies sorgte für traumhafte Gewinne. Alles schien gut zu laufen. In Chile brach eine Goldgräberstimmung aus, und noch heute wirbt am Flughafen der Regionalhauptstadt Puerto Montt ein Plakat der Firma ›Supersalmon‹ mit dem Slogan: ›Geerntet, verarbeitet und eingefroren in weniger als vier Stunden‹.
Sie, liebe Rostocker Hochseefischer, sind Experten, Sie wissen, dass kein Trawler damit konkurrieren kann.
Fünfundfünfzigtausend Mitarbeiter produzierten im Jahr zweitausendacht sechshundertsechzigtausend Tonnen Lachs. Das meiste ging als Lachssteaks, Räucherlachs oder Lachssushi in die USA, dreißigtausend Tonnen gingen nach Deutschland, der Luxusartikel Lachs wurde zum Billigfisch; eine Art Masthuhn der Meere.
Doch das hat seinen Preis.
Der Lachsvirus vermehrte sich rasend schnell, und heute gibt es nur noch ein Fünftel der Lachsfirmen in Südchile. Als Folge unmenschlicher Profitgier wurde der Lachs dort wie in Legebatterien gestapelt.
In den Käfigen sanken Abfälle, Kadaver und Kot auf den Meeresboden, wo die giftigen Algen wucherten. Die Tiere wurden vom Stress in den engen Käfigen, von den Krankheiten, verursacht durch die Enge und den Dreck, dahingerafft.
Heute ist die Lachswirtschaft mit zwei Milliarden Dollar verschuldet. Der halbe Ort ist arbeitslos geworden, weil die Tiere sterben und mit ihnen der Fortschritt.
Viren, Bakterien und Pleiten kennen keine Grenzen, und der ›WWF‹ warnt schon lange vor den ökologischen Auswirkungen dieser Zuchtbetriebe und vor der Gefahr für die Gesundheit beim Verzehr solcher Kunstlachse.
Das sind Langzeitaussichten.
Wenn man mit dem Bau von Fischfarmen vorschnell beginnt und mit dem Betrieb von Lachsfarmen allzu lax umgeht, dann rächt sich der Fisch.
Eine der größten Tierquälereien ist neben der Enge und der nichtartgerechten Haltung das künstliche Unterwasserlicht. Mit Scheinwerfern werden die Wachphasen der Fische künstlich verlängert, um ihr Wachstum zu beschleunigen. Sogar Sauerstoff wird in die Fluten gepumpt, weil Algen und Bakterien die Atemluft verschlingen.
Die Fabrikbesitzer sind reich geworden, sehr reich. Sie müssen zu einer artgerechten Haltung gezwungen werden: Die Käfige müssen weiter auseinander! Es dürfen nicht so viele Fische in einen Käfig! Doch vorerst bleibt alles, wie es ist.
Die wenigen Fließbandarbeiter töten vierzig Lachse in der Minute. Acht Stunden an sechs Tagen.
Einige
Weitere Kostenlose Bücher