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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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Arbeiterinnen schaffen vierundvierzig Filets in der Minute, doch schon nach einigen Monaten haben sie vom Schneiden Sehnenscheidenentzündungen.
    Stinkende, angefaulte Lachse werden trotzdem geputzt, filetiert und verkauft; jedoch nicht mehr nach Norwegen, nach Deutschland oder an die USA.
    Die reichen Industrieländer haben die Einfuhr aus Chile generell verboten. Dieser Müll, der angeblich nicht krank macht, wird in die armen Länder geliefert.
    Angesichts der Überfischung der Meere argumentieren die Fischfarmbesitzer mit der Tatsache, dass es immer mehr Erdenbürger und immer weniger freien Fisch gibt. Wir brauchen also Fischzucht, wenn die Menschheit überleben soll, dagegen sage ich ja auch nichts.
    Aber wenn Sie sich, liebe ehemalige Hochseefischer, ein neues Standbein in der Fischzucht aufbauen wollen, dann erliegen Sie bitte nicht den schnellen Gewinnen der Anfangsphase. Sorgen Sie für eine artgerechte Haltung, sonst wird auch Ihr Betrieb bald den Bach runtergehen.
    Trotz allem steckt die Fischzucht immer noch in den Kinderschuhen. Die Aquakultur wird noch viele Rückschläge einstecken müssen, weil der Fisch nicht so genügsam wie das Huhn ist. Er ist kein Haustier. Noch nicht.
    Der Fisch braucht in der Meeresströmung schwimmende Käfige, keine verankerten – nur einmal als Beispiel –, und das ist kostenintensiver!
    Machen wir in Osteuropa nicht die gleichen Fehler wie in Südamerika. Ich will Ihnen nichts ausreden, ich will Ihnen nur eines einreden: Schaffen Sie die natürlichen Umgebungen, die die Fische gewöhnt sind. Und denken Sie bitte langfristig. Ein mit Antibiotika voll gestopfter Fisch ist auch nicht gut für den Esser, das liegt ja auf der Hand.
    Vielen Dank, meine Damen und Herren«, sagte der Meeresbiologe und schaltete den Beamer aus.
    Der Applaus war verhalten, und auch Mathilde stand neben sich. Wie viele Fragen sich doch in ihr auftürmten! Aber keine an den Experten. Mathilde verließ den Saal schweigend und ging am Museumspersonal vorbei, das ihr Werbematerial mitgeben wollte. Sie hatte auch während der Heimfahrt noch die vielen Fotos im Kopf. Fischwirte, die verfaulten Fisch töten mussten. Lebendige Fische, denen die Gedärme heraushingen. Ungesunde Arbeitsbedingungen, die doch so ganz anders als die waren, die sie in der hiesigen Fischfarm gesehen hatte. War ihr vielleicht auch hier nicht alles gezeigt worden? Durfte sie Robert so etwas überhaupt zumuten?
    Jeden Morgen Krepierte aus dem Schwarm zu sortieren und später im Akkord die Fischleiber zu zerhacken? Das war doch alles andere als romantisch. Sie hätte doch noch dableiben und die Männer fragen sollen, was die davon hielten! Roberts Kollegen, die hatten auch nicht glücklich ausgesehen. Wozu wollte sie da ihren Mann überhaupt überreden? Mathilde bog in die Seitenstraße ein und parkte den Peugeot wenig später in der Garage. Sie blieb noch einen Moment sitzen und überlegte, ob sie Robert anrufen und ihm sagen solle, er brauche sich nicht zu entscheiden. Er solle sich nicht entscheiden. Es solle alles bleiben, wie es sei.
    Doch dann stieg sie aus, warf die Fahrertür zu und dachte: ›Aber andersrum: Typisch Greenpeace ! Denen kann man doch auch nicht alles glauben. Die überspitzen immer. Das ist ihr Job. So schlimm wird es schon nicht werden.‹
    Sie entschied, nichts zu entscheiden. Robert Rösch solle ruhig mal zeigen, wozu er fähig sei. Sie trank auf dem Nordbalkon ein Glas Rotwein und sah übers Meer, das ruhig vor ihr lag. ›Als wäre es auf meiner Seite‹, dachte Mathilde: ›Als wäre die See nun meine Freundin. Dabei sind wir doch nur Geschäftspartner, die über Robert und Luise verhandelt haben.‹
    ›Geschichten von Häfen, von Stürmen, von Fischzügen, von Piraten, von Kindern, von Liebenden, Geschichten ohne Ziel und Zweck wie das eigene Leben.
    Wie schwebend zwischen Himmel und Meer: nicht um zu vergessen – was kann man schon vergessen –, sondern um die Erinnerung nichtig zu machen, unschädlich, damit dies alles vorübergleite wie ein flüchtiger Reflex.
    So ist sie: alles oder nichts. Aus Furcht, nicht alles zu bekommen, hat sie das Nichts gewählt, denn sie ist stolz.
    Sie haben ihm zwar Dampf gemacht, aber zwingen kann man nur die Fischer, die Künstler mögen das nicht.‹
    Erstaunt klappte Mathilde das Tagebuch ihrer Tochter zu und schob es wieder ins Regal, zwischen die Bücher ›Letzte Haut‹ und ›Letztes Schweigen‹. Sie war in die Rostocker Wohnung ihrer Tochter gekommen, um

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