Letzte Fischer
Koffer in das alte Nebengebäude zu bringen.
Das Camp befand sich auf dem Gelände eines ehemaligen Bauernhofes am Ende des ungepflasterten Weges. Zwei alte Eichen markierten den Eingang, von dem aus sich ein geflochtener Weidenzaun durch Wiesen und Wäldchen bis hinunter zum Ufer der ›Recknitz‹ schlängelte, die Vorpommern von Mecklenburg trennte.
Das Gelände erstreckte sich weitläufig um drei zweistöckige Gebäude herum. Im ehemaligen Bauernhaus wohnte der Betreiber, der auch einen Streichelzoo mit Kaninchen, Rehen, Hühnern und sogar zwei zahmen Füchsen unterhielt.
Links vom Haupthaus fanden sich die ehemaligen Stallungen, in denen sich jetzt der Essenssaal und die Zimmer für die Kinder befanden. Auch die Betreuer wohnten in den spartanisch eingerichteten Zweibettzimmern. Mathilde stellte die zwei schweren Koffer zweier Kinder in den ersten Raum und bedeutete ihnen, dass sie hier untergebracht waren. Die Kinder nickten und sahen sich an.
»Na, sagt euch mal eure Namen und was ihr am liebsten macht«, sagte Mathilde und schloss die Tür hinter sich.
Erneut stieg sie die Treppe hinunter, die für zwei Menschen zu schmal war. Unten stieß sie die schwere Haustür auf und nahm sich wieder zwei Koffer, die sie für zwei Mädchen nach oben schleppte, die sie erst auffordern musste, ihr zu folgen. Sie quartierte sie ins nächste Zimmer ein und ermahnte sie, sofort mit dem Einräumen zu beginnen. Es gebe einen Zeitplan.
Die Mädchen nickten, saßen aber schon auf einem der Betten und unterhielten sich weiter im Flüsterton. Mathilde schloss lächelnd die Tür und machte sich wieder auf den Weg nach unten. Auf halber Treppe musste sie umkehren, weil ihr sechs Teenager mit riesigen Taschen entgegenkamen.
»Na, wird’s?«, fragte sie.
»Muss«, sagte eines der Mädchen, ohne hochzusehen.
Mathilde nickte, ließ die Truppe vorbei und ging nach unten, wo sie aber kein Gepäck mehr vorfand. Sie schlenderte übers Rondell, das der Mittelpunkt des Gehöfts war. Alles in allem sei es hier ziemlich ranzig, sie sah an dem Gebäude hoch, in dem sie untergebracht waren. Große Brocken des Putzes waren heruntergefallen, bloßer Backstein war zu sehen. Der Rasen zwischen den Gebäuden war braun und löchrig. Überall schimmerte die Erde durch. Das Haupthaus hatte man nur bis zur ersten Etage verputzt und übermalt. Es besaß eine weitläufige Terrasse, durch die man ins Haus kam. Vor der Terrasse stand allerdings ein Schild mit der Aufschrift ›privat‹.
Mathilde schlenderte weiter und fand einen Seiteneingang, dessen Tür offen stand. Hier ging es an der ersten Etage vorbei in die obere, wo sich Zimmer befanden, die notdürftig zu Seminarräumen umgebaut worden waren. Betten waren hochkant aufgerichtet worden, Schränke waren in die Ecken geschoben worden, und in der Mitte der Räume standen Tische mit wackligen Stühlen. Hier sollte sie den Kindern also den Deutsch- und Englischunterricht verständlich machen. Mathilde wurde skeptisch. Auf den Tischen sei kaum Platz für das Material von vier oder fünf Kindern. Sie ging zur Fensterfront, schob eine alte Gardine zur Seite, von der der Staub rieselte, um hinauszusehen. Die Scheiben waren lange nicht geputzt worden. Sie wischte ein Loch in den Schmutz und sah in ein verwachsenes Wäldchen, in dem sich Schaukeln und Klettergerüste befanden.
Sie drehte sich um, verließ das Zimmer wieder und wenig später das Haus. Sie umkreiste das alte, imposante Gebäude, ging durch das Wäldchen, vorbei an den Schaukeln, und sah wenig später einen Abhang vor sich, auf dem sich Getreidefelder ausdehnten; bis hinunter zum breiten Fluss. Er hatte eine starke Strömung und viele Biegungen. Mathilde fand ihn schön.
›Hauptsache Wasser‹, dachte sie: ›Eine Woche ist ja auch nur eine Woche.‹
Sie blieb im Schatten der Bäume und blickte versonnen nach unten, als sie ihren Namen hörte. Als sie sich umdrehte, sah sie die Organisatorin auf sich zukommen: »Ach, hier stecken Sie, Frau Rösch. Mein Name ist übrigens Frau Schmitt mit doppelt t. Wir hatten noch nicht das Vergnügen. Darf ich Sie bitten, mir zum Speisesaal zu folgen? Wir wollen uns den Kindern vorstellen und danach den Stundenplan besprechen. – Ist es nicht eine schöne Ecke hier? Ich finde gerade das Natürliche so gut. Noch nicht alles totsaniert hier. Wo hat man das heute noch? Und der Preis ist auch in Ordnung. Wir wollen den Familien ja nicht das letzte Hemd abknöpfen. – Was meinen Sie, die Kinder werden
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