Letzte Fischer
schon fast dreitausend Jahre auf der Erde sind.«
Frau Schmitt nickte und notierte: ›Freitag: Bäume‹.
Mathilde hatte bis Freitagmittag kaum bemerkt, wie rasch die Woche vergangen war. Sie saß zwischen den Kindern und unterhielt sich mit ihnen.
»Nein, da gab es eine Aktion im Jahre zweitausendacht, da wurden drei Komma sechs Milliarden Bäume gepflanzt, auf der ganzen Welt. Ziel war es, für jeden Menschen einen Baum zu pflanzen«, sagte sie und sah die sechs Schülerinnen und Schüler der sechsten Klasse an, mit denen sie am Tisch saß. Sie löffelten einen kräftigen Eintopf, in dem Kartoffel-, Möhren- und Fleischstücke schwammen. Die Landluft hatte die Kinder so hungrig gemacht, dass sogar jene Fleisch aßen, die Zettel der Eltern mitgebracht hatten, auf denen lange Listen von Lebensmitteln standen, die ihre Kinder nicht aßen; angeblich nicht aßen. Mathilde lächelte, über ihren Eintopf gebeugt, und hörte einen Jungen sagen, er werde auch Bäume pflanzen, vier Stück: für den Vater, für die Mutter, für die Schwester und für sich selbst.
»Und welche Sorte?«, fragte ein Mädchen.
»Birken«, sagte der Junge sofort.
»Aber Birken sehen doch so komisch aus, mit den weißen Stämmen und den ganzen Flecken.«
»Na und? Die muss es auch geben«, sagte der Junge und fragte: »Und welche Art willst du pflanzen? Das heißt nämlich Art und nicht Sorte, stimmt doch, Frau Rösch?«
Mathilde nickte, als dem Jungen noch etwas einfiel: »Und in der Nacht sind die Stämme besser zu sehen, wenn man sich mal verirrt hat. Wie gestern Nacht eure Gruppe!«
Er grinste, und das Mädchen gab zurück, sie hätte sich mit ihren beiden Freundinnen nicht verirrt, bloß beinahe, und fragte: »Oder Frau Rösch?«
»Keiner hat sich von euch verirrt, wir haben ja nur so getan, als ob. In Wirklichkeit standen die großen Jungs am Weg und haben euch im Augen behalten«, sagte Mathilde.
»Ja, ja, und immer haben sie Geräusche gemacht, dass man sich erschrocken hat. – Das war cool«, sagte der Junge und grinste wieder.
Mathilde hatte ihn die ganze Woche nicht lächeln sehen, doch jetzt, da die Nachhilfeaufgaben abgearbeitet waren, schien er sich endlich zu entspannen. Sie sagte: »Na, Jurek, geht’s dir jetzt gut?«
Er nickte beim Löffeln.
»Ist doch schön, wenn man die Schulaufgaben verstanden hat, oder?«
Wieder nickte er.
»Ich wohne ja im Ostseebad Nienhagen, da kann ich öfter mal rüber nach Lichtenhagen kommen. Ich frage mal Frau Schmitt, ob sie mich in ihrem Verein als Nachhilfelehrerin fest anstellt, dann werde ich dir bis zum Abitur helfen.«
Der Junge sah hoch, seine Augen strahlten, als er fragte: »Soll ich denn was studieren? Meine Mutter sagt, studieren ist Quatsch mit Soße.«
Die Mädchen kicherten und sahen Mathilde an. Sie antwortete: »Studieren ist gut. Wenn man studiert hat, dann verdient man im Leben dreimal so viel Geld wie jemand, der nicht studiert hat.«
»Mein Vater verdient sechshundert Euro. Mal drei sind das dann ja tausendachthundert Euro! So viel?«
Mathilde nickte und fragte, was er studieren wolle.
»Na, was mit Bäumen. Man kann doch alles studieren, oder?«
»Ja, das kann man«, sagte Mathilde: »Du bist ein fixer Bursche! Bloß bisschen faul manchmal, oder?«
Jetzt lachte er mit den Mädchen mit, hob die Schultern und wischte den Teller mit einem Kanten Brot sauber, den er sich in den Mund steckte, ehe er die Tasse kalten Tee austrank. »Das war lecker! – Und was machen wir nun?«
»Die Jungs spielen Fußball, und die Mädchen nehmen von den Tieren des Streichelzoos Abschied. – Na ja, und dann werden eure Eltern auch bald kommen. – Geht schon raus, heute übernehme ich den Tischdienst.«
Sie wischte Jurek noch schnell über die dunkelblonden Haare und sah den Kindern versonnen hinterher. Dann nahm sie die Teller, das Besteck und die Plastiktassen und brachte sie zum Regal.
»Pechvögel haben immer Glück«, sagte Herr Schneider zu ihr: »Ganz im Ernst.«
»Na, hoffentlich.«
»Kommen Sie mit auf die Raucherinsel? Als wären wir auch noch Teenager? Heimlich rauchen? Erinnern Sie sich, wie aufregend das damals war? Man gab sich natürlich ganz locker!«
Mathilde lächelte und nickte. Zusammen gingen sie zum Holzpavillon, in dem die älteren Mädchen und Jungs standen und rauchten. Wie dieser Autor sich doch verändert hatte! Er war ganz aufgedreht, als hätte er Vaterpflichten für all die Kinder übernommen und wäre gleichzeitig ihr bester Kumpel.
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