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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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draußen groß sein? Warum sollte er denn nicht aufs Oberdeck gehen? Merkwürdig; an dieser Träumerei war fast alles schwebend und mehrdeutig gewesen, nur dieses eine Wort nicht: Oberdeck.
    ›Oberdeck ist Oberdeck‹, dachte er, drehte sich um, musterte die Nische und ging zum Sofa zurück. Tommy kniete sich hin und öffnete die Schranktüren, die sich unter dem Polster befanden. Er nahm die Trophäe heraus. Sie war aus Silber und war auf einem Marmorsockel befestigt. Tommy stellte sie auf den niedrigen Tisch, setzte sich und starrte sie an. Um einen Kreis herum waren Dreiecke, und zwischen Sockel und Kreis war ein schmaler Stiel. Auf dem Kreis stand: ›Du bist kein anderer.‹
    Tommy nickte und dachte: ›Bin ich nicht. Natürlich nicht. Das wäre ja auch noch schöner. Aber diese Träume!‹
    Er beugte sich auf dem Sofa etwas nach vorne und nahm den Sockel zwischen Daumen und Zeigefinger. Der Stein war kühl, Tommy drehte die Trophäe langsam, strich über den Stiel und stellte sie wieder so hin, dass er sich den Triumphspruch ansehen konnte. Wer hatte da über wen gesiegt? Was für eine Regatta war das gewesen, bei der man mit solchen Sprüchen belohnt worden war? Tommy fand nirgends ein Datum eingraviert, aber war ihm das nicht auch egal? Jetzt stand sie da und meinte, er sei kein anderer Mensch. Eigenartig. Warum aber nicht aufs Oberdeck?
    Der Junge lehnte sich zurück, stellte die Fersen auf die Sofakante und umschlang die Beine mit den Armen. Er legte das Kinn auf die Knie und nagte an der Unterlippe.
    Könnte er doch nur seinen Vater anrufen! Diese verfluchte See! Bei allem behinderte sie einen! Ihr Rhythmus stahl einem die Energie und die Kraft, dass man wie ein Halbtoter auf einem stinkenden Sofa saß und sich auf einmal nicht mehr bewegen konnte! ›Sag mal, Doppelbläser , was mache ich hier eigentlich? – Du machst Erfahrungen, Tommy Rahr, du machst Erfahrungen! – Ach ja? – Ja! Ein Mann kann man nur unter Männern werden, weißt du doch!‹
    Tommy nickte und sah wieder auf das Silber, das überall fleckig war. Er könnte es putzen, dann hätte er etwas zu tun. Er könnte unter Deck bleiben und hätte trotzdem etwas zu tun. Er könnte sich hier in der Nische verstecken, wie ein Muttersöhnchen, und Putzarbeiten machen. Doch Tommy schüttelte den Kopf, er atmete tief durch und stellte die Trophäe zurück.
    Der Junge blieb noch einen Moment am Schott stehen, ehe er es öffnete und wieder auf die Brücke trat.
    Vor ihm lag das Meer, breit und tief.
    Er stellte sich neben den Steuernden und antwortete nicht, als dieser fragte: »Na? Wie fühlt man sich als Mann? – Hat sie gestöhnt oder hat sie gequiekt?«
    Doppelbläser nickte und ging zum Außenschott, um sich von der Nock aus die See anzusehen. Sie lag ruhig da. Unter den ersten Ausläufern der Morgendämmerung. Ein grüner Schimmer, eingeklemmt zwischen einem Schwarz und einem Dunkelblau. Vereinzelt letzte Sterne.
    Oberdeck, er stand draußen! Und nun? Neugierig blickte er sich um.
    Erstes Rot in einem milden und milchigen Gelb. Tommy sah die Sterne verschwinden. Einer nach dem anderen, bis nur noch der Nordstern übrig blieb. Aber wie der leuchtete! Tommy streckte sich ihm ein wenig entgegen und schrak zusammen, als eine schwere Hand auf seiner Schulter landete.
    »Hier steckst du also«, sagte der Chefharpunier: »Ich hab dich schon gesucht.«
    »Warum?«
    »Warum, warum. – Weil. – Was weiß denn ich, warum! – Hättest ja auch über Bord gesprungen sein können, ist alles schon vorgekommen!«
    »Ja, klar.«
    »Wie war sie denn im Bett? – Du kleiner Dauerficker! Hat sie denn deinen Winzling überhaupt gespürt?«, fragte der Baske und lachte gutmütig.
    »Sie meint, ich soll mich vor dir verstecken, die letzten Stunden. Sie meint, du könntest durchdrehen, weil du. – Ja, warum? – Ich hab keine Ahnung. – Warum bist du denn so durchgedreht?«
    »Ach, Schwamm drüber! Ein Weib bringt echte Freunde niemals auseinander! Schon gar nicht, wenn die beiden Schwänze zu echten Seemännern gehören.«
    »Du willst mich also nicht wie ein Stück Walfett in der Luft zerfetzen?«, fragte Doppelbläser und schaute weiter zum Nordstern, der aber kaum noch zu sehen war.
    »Ich würde mich freuen, wenn du den nächsten Törn wieder mitmachst. Es gab schon miesere Anfänger.«
    Tommy zögerte mit der Antwort. Er sah nach unten, übers Oberdeck, und wollte gerade sprechen, als der Kapitän von der Brücke auf die Nock kam und sagte: » Doppelbläser

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