Letzte Fischer
Fischer werden so oder so ähnlich enden.«
»Einen Fischer bringt nichts und niemand zum Reden. Er findet das Reden unnatürlich. Wozu andere Menschen überzeugen? Warum sie nicht leben lassen, wie sie leben wollen? – Das ist die Weisheit, die sie die See gelehrt hat. Das ist der Deal! Nur nicht mit der See in ein Gespräch geraten. Es würde doch nur ein Streitgespräch werden. Sie lässt den Fischer, der Fischer lässt die See. Und wenn doch jemand mit der See sprechen will, dann wird er verrückt und wird mit dem Tod bestraft. Siehe das Märchen ›Vom Fischer und seiner Frau‹. – Glaubst du wirklich, da haben Sirenen gesungen? Die See hat Odysseus verhöhnt, weil er in Gedanken bei ihr war, weil er sich nicht, verdammt noch mal, auf seine Arbeit konzentriert hat. Die See ist tückisch, ihr zu vertrauen heißt, enttäuscht zu werden. Die See kann nicht zuhören. Sie gaukelt nur vor, du hättest schlaue Gedanken. Doch wenn du die Tiefe dieser Gedanken auslotest, dann merkst du, für wie dumm sie dich gehalten hat. Die Gefahr besteht immer, mitten auf der See verrückt zu werden. Dagegen hilft nur das eiserne Schweigen. Das ist die Weisheit der Hochseefischer.«
»Aber es wird die Fischer bald nicht mehr geben, weil es den Fisch bald nicht mehr geben wird. Sie müssen an Land kommen. Mehr wollte ich doch gar nicht sagen. Die Lösung ist, die Konversation zu erlernen. Sie ist eine Kunst mit klaren Regeln, die nicht mal so kompliziert sind.«
»›Konversation für Hochseefischer und andere Handarbeiter. Ein Sachbuch‹«, sagte Tommy lachend: »Das wird mein Bestseller! Aber nur der erste!«
»Ich bleibe dabei, das Reden ist die Arbeit von morgen. Wer auch morgen noch Arbeit haben will, lernt besser heute die Regeln des Redens und Gegenredens.«
»Die Menschen seien die Sprache, mit der Gott und die Natur kommunizierten, meinte mal ein Franzose. Eine Sprache aber, auch wenn sie noch so lebendig sei, habe immer den Nachteil, sich selbst nicht verstehen zu können. Sie könne sich zuhören, sie könne ausdrücken, was sie im tiefsten Inneren verborgen habe, aber sie könne sich nicht selbst begreifen. Der Mensch könne es also schaffen, die Alltagssprache abzulegen, er könne in lyrischen Ergüssen nachplappern, was Natur und Gott sich einander zu sagen haben, aber der einzelne Mensch könne das Gespräch nicht verstehen, das geführt werde. Zwischen Schöpfer und der erschaffenen Natur. Er erkenne höchstens das Ausmaß einzelner Worte, vielleicht mal einen Halbsatz, aber nur das Wissen aller Menschen zusammen könne das Gespräch offenbaren. Nur alle zusammen, aber kein einzelner Stellvertreter oder so. – Ich weiß nur nicht, warum ausgerechnet die Menschen allein mit dieser Intelligenz ausgestattet sein sollen. Vielleicht sind es die Libellen und die Wale ja auch? Vielleicht muss alles Lebendige zusammenarbeiten, um diesen Dialog zu entschlüsseln?«
»Vielleicht gibt es diesen Dialog aber auch nicht?«, unterbrach Thomas mürrisch: »Vielleicht haltet ihr beide da oben besser für heute die Klappe? Vielleicht hört ihr mit dem sinnlosen Gerede mal endlich auf? – Danke! – Ihr Halbzeitphilosophen !«
» Halbzeitphilosophen ?«, fragte Luise spöttisch, beließ es dann aber dabei. Sie ließ sich von Tommy zu sich ziehen und deckte ihn mit sich zu.
Tommy dachte über die Sätze nach, während Luise nach der langen Schicht rasch einschlief. Er aber fiel in eine jener Stunden der tausend Gedanken, die er so hasste. An alles dachte er zeitgleich und an nichts konnte er sich festhalten; die Fülle einer riesigen Leere in seinem Kopf, Flaute im Zentrum eines Orkans: sprachlos.
Doppelbläser schlief unruhig, immer wieder erschienen ihm Münder, ganze Gesichter und dann wieder nur Lippen. Redende Köpfe, die sich ausgezeichnet zu unterhalten schienen; er selbst belustigt inmitten der illustren Runde, die sich so ernst nahm.
›Was ihr auch tut, Jungs‹, sprachen da zwei alte Lippen: ›Immer schön die Spannung halten.‹
›Geschichten sind es, wenn es nicht mehr wehtut‹, kam es aus einer anderen Ecke.
›Aus dem stillen Raume, aus der Erde Grund, hebt mich wie im Traume dein verliebter Mund. Wenn sich die späten Nebel drehn, werd’ ich bei der Laterne stehn, wie einst Lilli Marleen.‹
›Der kleine Sklave: in dieser äußerst – schmalen küche schnitt – mir meine mutter — das haar, zuerst – musste ich immer – nach links rücken für — die rechte seite und – dann nach rechts für
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