Letzte Fischer
anders«, flüsterte Robert Rösch, genannt Filigraner , ruhig weiter: »Ich war raus gegangen, weil ich eine Seefledermaushaut versaut hatte. Hatte den richtigen Moment verpasst, und schon war sie dahin. Das hat mich so geärgert.«
»Und darum bist du an dem Mist hier schuld?«, fragte Opernsänger .
»Ja, weil ich zuvor gegen unsere eiserne Regel verstoßen habe. Ich habe ein persönliches Problem mit an Bord gebracht. Und daher habe ich die Haut verpfuscht, weil ich dauernd an mein Problem denken musste. Und weil ich daran denken musste, wurde es ruchbar. Und das haben die Aasgeier der See sofort gerochen! Darum haben die Piraten uns gefunden! Ich habe die Spur gelegt. Unbewusst, aber ich habe sie gelegt.«
Niemand widersprach.
Sie dachten an all die unglaublich erscheinenden Dinge, die ihnen aber doch auf See schon passiert waren. Sie hielten auch diesen Aberglauben für möglich, und Knirschender schlug vor, zu beten.
Das aber machte den Dritten Offizier wütend: »Beten? Du Idiot! Ich bin Moslem. Wie soll ich denn hier beten? Ich brauche Allahs Boden unter den Füßen, ich brauche einen Teppich zum Beten, du Dummkopf!«
Knirschender schwieg, doch am liebsten wäre er explodiert. Als wenn es ihm leicht fallen würde, ohne Tora zu beten! Aber er würde es eben versuchen! Wer hier wohl der Dummkopf war! Gott war doch nicht blind! Knirschender streichelte noch einmal über Ismaels totes Gesicht, ehe er den Leichnam sachte von sich schob. Er hielt die Hand des Jungen noch einen Moment, aber auch die musste er dann loslassen.
»Welches Problem?«, fragte Opernsänger in die ratlose Stille hinein. Unter keinen Umständen durfte das hier so enden! Er wollte hier auf keinen Fall auf den letzten Metern noch einen Religionskrieg erleben. ›Auf den letzten Metern‹, dachte der Atheist.
»Welches Problem? Es war nichts anderes als das Problem der Zukunft«, sagte Robert: »Der nahen Zukunft.«
»Rede nicht drum herum. Vielleicht können wir dir einen Rat geben«, sagte auf einmal der indische Zahlmeister, den die anderen schon für tot gehalten hatten. Als Buddhist war ihm diese Situation dank seines Glaubens an die Wiedergeburt um ein Vielfaches erträglicher als seinen Kollegen, so dass er sich auch die ganze Zeit zurückgehalten hatte. Er hatte sich vorbereitet, und nun war er vorbereitet.
»Einen Rat?«, fragte Robert. »Jetzt noch?«
»Jetzt noch«, sagte der Inder so ruhig wie möglich: »Für später!«
»Für später«, höhnte der Dritte , schwieg dann aber.
»Na gut. – Ich muss auf dieser Fahrt eine Entscheidung treffen. Auf See bleiben oder bei meiner Ehefrau«, sagte Robert.
»Immer die alte Frage!«, sagte Opernsänger : »Was soll ein Seemann auf dem Land? Und was soll ein Ehemann auf der See? Es geht nur beides zusammen, man kann sich für keine Seite entscheiden. Das Wasser gehört zum Land, das Land gehört zum Meer. Die Frau gehört zum Mann, der Mann gehört zur See, die See gehört zur Frau. – Sie hätte dich niemals vor diese Entscheidung stellen dürfen.«
»Hat sie aber. Aus Liebe. Aus Sehnsucht. Aus Gegenwartsangst«, sagte der indische Zahlmeister: »Ihre Seele ist auch geschunden.«
»Das stimmt«, sagte Robert: »Sie wollte es ja auch nicht. Sie hat sich gegen diesen Wunsch so lange gewehrt. Sie wusste ja auch, was dieser Schritt für Gefahren birgt. Sie hat mir ja auch fünf Monate Zeit gegeben. Ich sollte mich in Ruhe entscheiden, hier, bei euch, die ihr mir doch noch so ein blödes Ständchen gehalten habt.«
»Was hat sie angeboten? Als Gegenleistung? Welche Idee?«, fragte Knirschender .
»Dass sich bei euch immer alles nur ums Geld dreht«, sagte der Dritte und entschuldigte sich gleich darauf für diese Bemerkung.
»Ich soll Fischwirt werden. In einer Fischfarm«, sagte Robert: »Bei uns in Norddeutschland schießen sie gerade wie Pilze aus dem Boden. Sogar in Mecklenburg, sogar vor den Toren Rostocks, also keinen Hühnerschiss weit von unserem Haus entfernt.«
Niemand antwortete, und gerade das klang in Roberts Ohren verächtlich.
Er sagte: »So könnte ich weiter Fischer bleiben und trotzdem immer an ihrer Seite sein. Kein Hochseefischer mehr, aber eben so eine Art Küstenfischer.«
»Küstenfischer, schön wäre es«, sagte Kroatischer Riese : »Fischfarmen nehmen uns doch nur die Arbeit weg.«
Opernsänger sagte: »Unsere Arbeit ist schon so gut wie weg. Da hat uralter Richard Recht. Es gibt kaum noch genug Fisch in den Ozeanen. Die Riesenschwärme, wie wir
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