Letzte Fischer
sie noch kennen, die gibt es schon lange nicht mehr. Die Trawler verschwinden doch schon.«
»Aber noch sind sie da!«, sagte Kroatischer Riese .
»Ja, noch! Vielleicht reicht es für uns noch bis zur Frührente, aber viel länger doch nicht mehr. Wir sind wirklich die letzten Fischer«, sagte Opernsänger .
»Ja, so habe ich auch hin und her überlegt. Diese Fischfarmen, das ist die Zukunft. Und ich bin ja noch keine vierzig Jahre alt. Aber kann ich euch verraten? Kann ich gegen euch ankämpfen?«, fragte Robert. »Und wenn ihr diese Farmen gesehen hättet! Ich war in einer, das hat mit dem Fischfang gar nichts mehr zu tun. Das ist Kunst, alles nur Kunst. Künstlich wie Kunstkäse, künstlich wie Kunstschinken, das sind doch alles nur noch Kunstfische. – Kennt ihr den Film mit Louis de Funès? ›Brust oder Keule‹? Da wird gezeigt, was passiert, wenn Lebensmittel synthetisch hergestellt werden. Fische, Hähnchen, einfach alles! Heute ist das Realität«
» Haudegen hat immer gesagt: Man nimmt einem Mann nie, niemals, die Arbeit weg!«, sagte der Inder.
»Ja, einem Mann, aber sind diese Sprüche nicht auch schon tot? Kann man denn heute noch als Mann so leben wie vor hundert Jahren? Wenn es keine Arbeit mehr für unsere Art von Männern gibt, dann gibt es unsere Art von Männern auch bald nicht mehr«, sagte Robert Rösch, der sich auf einmal in einer Diskussionsrunde seiner Studienzeit wähnte.
»Das ist mir zu hoch«, sagte Kroatischer Riese : »Unsere Arbeit wird gebraucht. Unsere Arbeit wird gut bezahlt. In unserem Job können nur die härtesten Männer überleben.«
»Ja, aber«, sagte der Inder gelassen, »werden wir überleben? – Mir scheint, lieber Kurznasenseefledermausspezialist Robert Rösch, genannt Filigraner , du hast da eine sehr, sehr schlaue und vorausblickende Frau an deiner Seite. Sie will dich vor der verdammten Seesucht retten, die uns alle zu Süchtigen gemacht hat. – Und die uns nun am Schlafittchen hat.«
»Meinst du?«, fragte Robert.
»Ja, auf jeden Fall«, sagte der Zahlmeister.
»Und?«, fragte Opernsänger : »Wie hast du dich denn nun entschieden?«
»Gar nicht, noch gar nicht«, sagte Robert: »Ich hatte mich gerade erst entschlossen, diese blöde Pro-und-Contra-Liste nicht zu machen. – Dann gab es einen Tritt in die Eier. – Ich glaube, bei mir war es auch eine Frau. Eine Asiatin, aber das ist ja Quatsch, wir sind hier vor Somalia. – Ist ja auch egal. Jetzt.«
Niemand bemerkte, dass der Atheist sich aus der Gruppe löste. Er schwamm geräuschlos, ließ sich mehr treiben, als dass er sich bewegte, und atmete durch den Mund.
Er hatte ein Büschel Barthaare in die Hand bekommen und hielt es fest.
›Sie müssen Väterchen abgefressen worden sein‹, ging es Opernsänger durch den Kopf: ›Ehe sich die Thuns an seine Haut gemacht haben.‹
Opernsänger behielt das Büschel in der Hand, während er zur Mitte schwamm, und befingerte es sorgsam. Es war doch eher ein Bündel. Es war tatsächlich zu einem Strick gespleisst worden, an dessen Ende sich eine Schlaufe fand. Opernsänger hing im Wasser und staunte über den Russen.
›So also hat der Alte immer die Schnapsflasche verstecken können!‹, dachte Opernsänger , ehe ihm noch einmal ein Lächeln gelang: ›Dieser Tausendsassa !‹
Opernsänger holte tief Luft. Er spürte den Körper schon nicht mehr. Es war nicht seine Entscheidung. Genauso wenig, wie Robert Rösch sich entschieden hatte, so blieb auch er entscheidungslos. Sein Blut war es, das entschieden hatte. Es gab den Kampf auf, Opernsänger merkte es: Es zirkulierte so gut wie nicht mehr. Er fühlte sich wie in einem hautengen, geschmeidigen Sarg. In einem bleiernen Sarg. Er stöhnte und sah noch einmal zur grünlich schimmernden Notlampe, unter der das einzige Schott aber weiter verschlossen blieb. Er stöhnte wieder.
Es blieb für ihn nicht mehr viel zu tun. Nichts mehr.
Worauf sollte er denn warten? Auf was für ein Wunder? Das Wunder des Sterbens hatte doch schon lange begonnen. Es zog sich doch schon seit Stunden hin. Nein, beileibe, hier brach kein Kran mehr durch das Dach des Frischwasserbunkers!
Und nein, hier stürmte auch keine Befreiungsarmee mehr! Keine gesprengten Wände! Nichts!
Für wen denn? Für ein paar überflüssig gewordene Kerle? Für ein paar Hochseefischer, die sowieso schon kein Heimatland mehr hatten? Opernsänger schüttelte den Kopf. Noch immer waren Fischer für Politiker unwichtig, wie schon vor hundert Jahren. Nichts
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