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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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änderte sich, niemals. Ja, wenn er in Japan zu Hause wäre, ja dann!
    Er tauchte für einen Moment unter und spürte die Anwesenheit der vielen Fische. Sie umlagerten ihn. Er verstand, nicht alle seien satt geworden, und meinte, es gebe doch immer zu wenig Essen. Zur Not könne der Schwache ja immer noch betteln gehen. Wenigstens in der Natur funktioniere dies.
    Luftblasen blubberten an seinen Schläfen vorbei. Er kam wieder an die Oberfläche, träge und so unendlich müde.
    Seine letzten Kollegen hielten sich mit Worten über Wasser, aber was sie da murmelten, konnte er nicht verstehen. Er wollte es auch nicht verstehen, nicht mehr.
    Wozu noch Worte? Hatten sie an Bord nicht seit jeher Angst davor gehabt, dass einer von ihnen wirklich mal mit dem Reden anfangen könnte? War das Schweigen nicht auch eines ihrer heiligen Gesetze, durch das sie es an Bord überhaupt aushielten? Nur ja niemals die reflektierende Täuschung durchbrechen, mit der der Einzelne sich aufrecht hielt. Nur ja niemals jemanden zwingen, den Saal mit den Spiegeln zu verlassen, in den er in seiner Jugend geflüchtet war. Opernsänger seufzte. Gar nicht erst die Last loswerden wollen, die einem als Junge aufgebürdet worden war. Immer nur weiter im Filetieren, gar nicht daran denken wollen, Last zu Lust zu machen. Sich mit dem Reden zu befreien, das war doch all die Jahre tabu geblieben! Und ausgerechnet jetzt fing Filigraner an, schwach zu werden! Zu plappern wie ein Fischweib in Südfrankreich! War das nicht das deutlichste Zeichen, dass sie zu Ende ging, die Ära der schweigsamen und gestählten Männer? Für Opernsänger , der manchmal bis zu acht Fließbänder dirigiert und bis zu zwölf Motoren in einen harmonischen Einklang gebracht hatte, war Roberts Gerede zu viel geworden. Man entblößte sich nicht, nur weil man Angst hatte! Angst vor einem Haufen wilder Piraten, die sich feige an Bord geschlichen hatten. Diese Saubande , diese!
    Noch nie hatten Piraten einen Fischtrawler überfallen. Und dann gleich den größten! Hundertsiebzig Mann Besatzung, aus aller Herren Länder, wer hätte damit rechnen können? Zehn, zwanzig Piraten, die fast zweihundert Männer überfallen und getötet hatten. Das war doch kaum möglich! Auf einem Frachter bestand die Besatzung aus siebzehn Mann, das war doch nichts im Gegensatz zur Saudade .
    Was war das nur für eine Welt geworden? Eine Welt jedenfalls, in der er nichts – aber auch gar nichts mehr – zu suchen hatte. Opernsänger stieß erneut die Luft aus, ließ sich sinken, war schon auf dem Boden, stieß sich dann aber doch wieder ab und kam an die Oberfläche zurück.
    Er schaffte es nicht. So auf keinen Fall.
    Eine bleierne Stille lag um ihn. Nicht einmal Schwimmbewegungen der Kollegen hörte er mehr. Er wollte schon rufen, unterließ es dann aber.
    ›Doch merkwürdig, wie leise Welten einstürzen‹, dachte er: ›Nicht einmal die Fische ändern ihre Richtung!‹
    Er nahm Väterchens lange Barthaare in die Faust und lauerte.
    Er lauerte lange und oft schlug er daneben.
    Dann aber hatte er doch einen Thun betäubt. Der Fisch schwamm mit dem Bauch nach oben neben seinem Gesicht.
    Opernsänger schlug den nächsten Fisch k.o.
    Jetzt kam er besser klar. Er schlug ihnen mit der Faust auf die Köpfe, so dass sie bewusstlos wurden.
    Immer mehr wurden es. Viel mehr, als er brauchte. Und woher plötzlich die viele Kraft kam? Er konnte lange nicht aufhören, und lange hörte er die Rufe der anderen Männer nicht.
    Die ersten Fische kamen schon wieder zur Besinnung. Opernsänger ergriff sie, steckte die Zeigefinger in ihre Kiemen und riss sie ihnen auseinander.
    Er spürte das warme Blut und hörte plötzlich eine Stimme dicht neben sich: »Was machen Sie da?«
    Er antwortete dem Dritten nicht, der seine Frage wiederholte.
    »Geh weg!«, flüsterte Opernsänger : »Geh weg!«
    »Nein, hören Sie auf damit! Wir kommen hier raus! Beruhigen Sie sich.«
    »Ich bin ganz ruhig. Ich war noch nie so ruhig!«
    Er war selbst über die Melodie in seiner Stimme verwundert. Fast war es ein Singsang!
    »Lassen Sie ihn«, sagte der indische Zahlmeister, dessen Stimme von weit her zu kommen schien: »Lassen Sie ihn!«
    Der Inder hatte den Ton in Opernsänger s Stimme verstanden: »Lassen Sie ihn! Er hat sich entschieden!«
    »Es ist aber meine Aufgabe, zu entscheiden«, sagte der Dritte , der kurz darauf einen Faustschlag auf den Schädel bekam. Benommen trieb er ab und schwamm wenig später stumm zu den anderen Männern,

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