Letzte Fischer
die Augen und Eingeweide heraus, weil sie zu schnell hochgeholt wurden. In der Barentssee kam der Bergilt in riesigen Schwärmen zusammen, um sich zu paaren. Die Weibchen wanderten weiter, bis zu den Lofoten, um dort die Larven abzuwerfen, die fünf bis sieben Millimeter groß waren. Sobald diese Larven stark genug waren, um nicht ständig an der Oberfläche bleiben zu müssen, schwammen sie in der Richtung davon, aus der einst die Mütter gekommen waren. Woher wussten die Kleinen das? Oft hatte sich der alte Mann das schon gefragt. Was steckte hinter diesem Geheimnis? Er wusste es nicht, er wusste nur, dass der Gold-Rotbarsch an den Flossen und Kiemendeckeln verdammte Stacheln mit Giftdrüsen hatte, an denen er sich schon oftmals gestochen hatte. Die Finger quollen dann auf und eiterten, was eine Woche Krankenzimmer brachte. Arbeitsausfall, Aussetzen der Heuer, eine verdammte Sauerei war das! Uralter Richard wollte gar nicht wissen, wie viel Geld ihm wegen dieser Stacheln in den letzten sechzig Jahren schon verloren gegangen war. Er wusste, nur ein gesunder Verarbeiter sei ein guter Arbeiter, und wo die Krankheit beginne, das entscheide ein Verarbeiter selbst.
Robert Rösch hatte an alle Fließbänder der Verarbeitungshallen Plastikeimer mit kaltem Wasser gestellt. Sollte eine Kurznasenseefledermaus als Beifang auftauchen, so wanderte sie sofort in einen der Eimer. Doch solange dies nicht geschah, musste Rösch am Fließband mit anpacken. Er zog die dicke Unterhose hoch und stopfte wenig später das Unterhemd unter den Saum.
Die drei Männer mussten sich beim Umziehen in der engen Umkleidekabine von ›Verarbeitungshalle III‹ gegenseitig Platz machen und im Rhythmus der plötzlich von einem Nordwest gepeinigten See die halbwegs ruhigen Momente abwarten. Die Hosen waren mit den Stiefeln verbunden, die Jacken mit den Kapuzen, die soweit zugezogen werden konnten, dass nur noch ein Sichtspalt übrig blieb. Opernsänger sah uralten Richard an, von dem er wusste, dass er die Kapuze in all den sechzig Jahren, die er schon auf der Saudade war, immer zugezogen hatte. Er ersticke lieber im eigenen Schweiß als im Todesgestank des Fisches.
Sie schlossen die Jacken bis zum Hals, zogen die Gürtel fest, behielten die Handschuhe in den Händen und setzten sich auf die Metallbank der Umkleidekabine, um auf das Kommando zum Eintritt in die Fertigungshalle zu warten, womit ihre Schicht begann.
Robert rutschte unruhig auf der schmalen Bank hin und her, wobei er die Stiefel fest auf dem Boden hielt. Er sah Christian an und nickte ihm zu, bevor er das Nicken von Richard erwiderte. Er gehöre zu ihnen, auch wenn er am Fließband nur Aushilfe sei. Er werde das Verarbeitungstempo halten, koste es, was es wolle! Noch einmal nickte er, doch diesmal nur für sich, ehe die Lautsprecher knackten.
»Achtung! Backbordschicht! Schichtwechsel der Verarbeiter in einhundertzwanzig Sekunden!«, schnarrte es in die Kabine. »Fertigmachen zum Eintritt!«
Die Männer hievten sich mit den Händen auf den Oberschenkel hoch, stellten sich breitbeinig in den schmalen Gang und kämpften gegen die Schaukelbewegung des Schiffes an, ehe Richard die Hände auf das Türrad des Schotts legte.
»Schichtwechsel in neunzig Sekunden. Eintritt in zehn. In sieben. In drei. Ab!«
Richard drehte das Rad mit einem kräftigen Ruck nach backbord, zog das doppelwandige Schott auf, trat, gefolgt von Robert, ein, ehe Christian das Schott hinter sich wieder zuzog und es verriegelte.
Während sie zum ›Fließband 6‹ gingen, setzte Richard die Kapuze auf, zurrte sie fest, und alle drei Männer zogen sich die Handschuhe bis zu den Ellenbogen hoch.
Ratterndes Tuckern der Fließbandmotoren.
Schrilles Pfeifen der Kühlaggregate.
Dumpfes Brummen der Belüftungsmaschinen.
Grelles Neonlicht, das von verblechten, blanken Wänden reflektiert wurde. Vervielfältigt von den Ecken und Kanten der unzähligen Metallgegenstände.
Schmierölgestank der holpernden Fließbandräder.
Mief der fettigen Kühlungsmilch der Motoren.
Frischer Blutgeruch der zu Hunderttausenden geköpften, geschlitzten, ausgeweideten und zappelnden Fische.
Kälte, die in dünnen Nebelschwaden in der Halle stand.
Die Männer setzten die knallgelben Ohrenschützer auf, auf deren eiförmige Hälften sie dicke, schwarze Christuskreuze samt Beerdigungshügel gemalt hatten.
Sie kniffen die Augen zusammen, öffneten sie langsam wieder, um sich ans künstliche Licht zu gewöhnen, und spuckten auf die
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