Letzte Fischer
Handschuhe. Auch an den Lärm gewöhnten sie sich, der nur schwach gedämpft wurde, auch an den Kadavergestank gewöhnten sie sich, der ihnen vertraut geworden war, auch an das Schweigen über vierzehn Stunden hinweg gewöhnten sie sich, das ihnen nun bevorstand.
»Achtung! Schichtwechsel in dreißig Sekunden!«, kam es aus den Lautsprechern, die sich überall an Bord befanden, doch Richard schlug seinem Vordermann, den er ablösen sollte, bereits auf die Schulter. Der Italiener ließ sogleich das Schlitzmesser fallen, nickte und verschwand. Richard nahm das kurzschneidige Messer, trat ans Fließband, nahm einen zappelnden kopf- und schwanzlosen Fisch auf, schlitzte ihm den Bauch auf, ließ ihn aufs schwarze, rotierende Fließband fallen und nahm sich den nächsten Fisch vor, um seine Arbeit zu tun.
»Abgelöst: Jetzt!«
Auch Christian und Robert traten ans Band, nahmen den vorbereiteten Fisch, wobei Christian ihm zwei Finger in die geschlitzte Wunde drückte, die Finger krümmte und dem zappelnden Tier mit einem einzigen Ruck sämtliche Innereien herausriss. Er nutzte den Schwung der Bewegung und warf den Abfall über das Band, während er das weiter zuckende Filet aufs Gummi zurückfallen ließ.
Robert, der erste in der Reihe, schnitt dem von der Guillotine geköpften und entgräteten Fisch den Schwanz ab, wobei er darauf achten musste, nur lebende Tiere zu nehmen. Die toten Fische sortierte er aus und warf sie zum Abfall.
Während die Fischfilets nach der Verarbeitung sofort tiefgekühlt wurden, fielen die Köpfe und Innereien durch einen Trichter, der sich in der Mitte der Verarbeitungshalle befand, in die ›Vermehlungsstation 7‹, in der sie zu Fischmehl für die landwirtschaftliche Tierproduktion verarbeitet wurden. Immer mehr Fischmehl diente in den Aufzuchtanlagen als Fischfutter, die als treibende Käfige mittlerweile in fast allen Ozeanen zu finden waren. Auch an Land gebe es viele Fischfarmen, die immer wichtiger würden, da der freie Fisch der Ozeane bald restlos abgefischt worden sei, uralter Richard wusste es ja, aber glauben wollte er es nicht. Die Zahl der Menschen explodiere, der Fisch aber werde immer weniger. Allzu oft hatte der alte Mann darüber schon am Fließband nachgedacht. Er meinte, er gehöre zur letzten Generation der Hochseefischer. Sei er erst einmal verschwunden, gebe es nur noch Fischwirte an Land, die künstlich Eiweiß produzierten. Des alten Mannes Meer werde bald nur noch aus wuchernden Blaualgen und giftigen Quallen bestehen. Traurig grinste Richard und konzentrierte sich wieder auf die Schnitte, die er im Sekundentakt ausführte, während Robert beim Zerschneiden gerade einen Fuß nach dem anderen hob, spritzte doch automatisch alle zwanzig Minuten Wasser aus den verschiedenen Düsen, die sich in Höhe der Knie an den Wänden befanden, auf den Metallboden, um die Abfälle zum Trichter zu fegen, der die Hallenmitte markierte.
Zwölf Fließbänder gab es in jeder der zwanzig Verarbeitungshallen, an denen jeweils drei Männer ihre Arbeit machten. Am Ende der Bänder waren Container aufgestellt, die die zappelnden Filets zusammen mit Eisstückchen auffingen, die direkt aus einem Hahn oberhalb des Fließbandes kamen. Wegen dieses Eises, das in dünnem Strahl floss, betrug die konstante Raumtemperatur drei Grad unter null, doch die Verarbeiter hatten sich an die Kälte schon vor langer Zeit gewöhnt. Sie hatten sich Speck angefressen, genau wie die Wale, und nur unter der heißen Dusche nach der Schicht verfielen sie in einen Trancezustand, aus dem sie sich gegenseitig wecken mussten. Im heißen Wasser klapperten ihnen die Zähne, während sie dem Wärmeweh nicht Herr wurden.
Christian wurde mitten in seiner Wegwerfbewegung von den Ausläufern eines Kaventsmannes so sehr gegen die Laufstange des Fließbandes gedrückt, dass er mit dem Oberkörper nach vorne fiel und sich mit beiden Händen auf dem langsam fahrenden Gummi abstützen musste.
Er zog einen Schwall Rotze durch die Nase, holte ihn in die Mundhöhle und spuckte ihn in hohem Bogen über das Band zum Abfall.
Meistens standen die Männer leicht gebeugt und hievten die anderthalb Meter langen und bis zu fünfzehn Kilogramm schweren Kadaver lediglich mit den Muskeln der Unterarme in die jeweiligen Verarbeitungspositionen. Nur die Entleerer nutzten zusätzlich die Oberarmmuskulatur. Hochseefischer waren fette und kräftige Männer mit schnellen Händen, nur Robert wich von diesen Körpermaßen ab. Noch! Er fragte sich
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