Letzte Fischer
hin. Es war soweit! Sie stachen in See. Der Bootsjunge zog sich die Zudecke über, spürte er doch den Luftzug der Lüftung, verschränkte die Arme unter dem Kopf und lächelte mit geschlossenen Augen. Was für eine schöne Frau doch an Bord war, allerdings fast noch ein Mädchen.
Er dachte an seinen Kumpel, der über seine erste Freundin, die ein wenig älter war, gesagt hatte: ›Ich mag eben Frauen, die ihr eigenes Geld verdienen.‹
Tommy lächelte und flüsterte: »Und ich erst.«
Doch dann wurde er Teil des Schiffes, das sich seinen Weg durch die Wellenberge bahnte. Das Stampfen verschwand immer mehr in seinem Unterbewusstsein, er schlief im Rhythmus der Fahrt; an diesem Tag stachen sie in See.
Teil 2
Europa sei die größte Halbinsel Asiens, so richtig wurde Robert Rösch das vor der Ostküste Nordamerikas klar. Er war an Oberdeck und fluchte wie die anderen Besatzungsmitglieder auch über die Kälte.
Eisschollen polterten unentwegt gegen die Außenhaut des Schiffes. Rösch klang es wie ein Drohen aus tiefster Tiefe.
Starke Westwinde wehten vom kanadischen Festland aus über die Hudsonbay und Labrador. Die Temperaturen waren in den Minusbereich gesunken, das überkommende Spritzwasser fror und umschloss die Saudade mit einem dicken Eispanzer. Die Funkantenne war unter der Last zusammengebrochen, die Gischt gefror bereits in der Luft und hagelte aufs Deck. Dieses ständige Prasseln verstärkte das Dröhnen der Eisschollen, und Robert Rösch hätte gerne Christians Meinung gehört, der vor seiner Zeit als Hochseefischer Dirigent hatte werden wollen. Zwar stand Opersänger nicht weit von Robert Rösch weg, doch Rösch hörte ja nicht einmal das eigene Rufen. Er schlug mit einem großen Hammer auf das vierzig Zentimeter dicke Eis, um den Trawler zu befreien.
Oberhalb der Wasserlinie war das Schiff von einem tonnenschweren Eispanzer umgeben, der den Schwerpunkt des Trawlers immer mehr verlagerte, so dass ein Kentern unumgänglich wäre. Doch dagegen kämpften sie wie ein Mann an. Dick vermummt standen sie auf dem Deck und an den Aufbauten, sie hängten sich über die Reling und klopften Eis vom Metall. Das Schiff fuhr mit fünf Knoten, gerade schnell genug, um nicht im Eisschollenfeld festzufrieren. Unter minus zehn Grad zeigten die Thermometer zwar an, aber es gab niemanden an Bord, der ihnen einen Blick gönnte. Growler , die Trümmer von Eisbergen, zogen in Größen von Mehrfamilienhäusern vorbei, doch einzig der Steuermann behielt sie im Blick. Die Männer hämmerten, sie kämpften um ihr Leben, und sie fluchten auf alles, was sich nicht bewegte.
Einen Vorteil hatte das Treibeis, in das der Trawler immer weiter hinein fuhr: Es verhinderte das Schaukeln des Schiffes und somit das Überkommen von Spritzwasser, so dass kein weiteres Vereisen mehr stattfand. Doch vorerst mussten die Männer das Eis abklopfen; diesen weißen Todesatem des Atlantiks, mit dem sie in die Tiefe gezogen werden sollten, Robert Rösch spürte ihn. Er fluchte und spuckte verächtlich aus. Er lehnte sich über die Brüstung der Nock, schwang den zwanzig Kilogramm schweren Hammer nach oben, weit über den Kopf, und ließ ihn dann gegen das Metall unter sich knallen. Eine Eisscholle, groß wie ein Gästezimmer, sprang ab und fiel polternd aufs Fangdeck, wo ein Kamerad stand und die Scholle schnell über Bord bugsierte.
Rösch zog den Hammer am Tau, das er ums Handgelenk geknotet hatte, wieder nach oben und setzte den nächsten Schlag, um das Schiff zu befreien. Es war mitten in der Nacht, so dass Rösch auf alles einschlug, was weiß war. Weiß und kalt und tödlich. ›Heute ist kein guter Tag zum Sterben‹, dachte er Mal um Mal: ›Heute nicht!‹
Drei Stunden hielten die Männer schon durch, als sie bemerkten, dass das Schaukeln und Spritzen ganz aufhörte. Endlich! Sie hatten die Eisfelder von Labrador erreicht. Erschöpft hielten sie einen Moment inne, um dann die letzten Schläge zu setzen. Unter sich wussten sie in tausend Metern Tiefe den Rotbarsch, den so begehrten, der das salzreiche und schwere Atlantikwasser bei einer Temperatur um die sechs Grad so liebte. Einige nannten diese Gegenden Rotbarschwiesen , die meisten aber nannten sie Barschberge , weil dieser Fisch sich in dichten, hügelartigen Schwärmen sammelte, die nur wenige Meter breit waren. Schwer auszumachen waren diese hohen und schmalen Schwärme, und Robert Rösch hatte uralten Richard nachdenken gehört, ob der Rotbarsch dieses Verhalten gelernt habe, um
Weitere Kostenlose Bücher