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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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mit anderen Männern. Sie suchen ihn in der Natur, in der Gesellschaft, in der Kunst oder in der Politik. Der Mann, der als erster den Everest bezwungen hat, hat diesen Berg ja nicht bezwungen, weil der Berg da war, sondern weil er selbst da war. Das Abenteuer muss einzigartig sein, ist aber ein einsames Geschäft. Eine unsoziale Tagestätigkeit, weil sie oft dazu führt, dass man zu spät bei Tisch erscheint. – Als letzte Gruppe der vaterlosen Männer seien die Herrschernaturen genannt. Das Handeln im göttlichen Auftrag. Zumeist gegen die Bedrohung durch die weibliche Sexualität. Sie wollen Frauen an die Kandare nehmen, sie wollen gnadenlos die Welt verbessern, sie wollen stets eine heroische Haltung bewahren, emotional wollen sie ein Eisschrank bleiben, und das Pedantische wollen sie als Waffe einsetzen. Sie sind immer bereit, Gewalt auszuüben. – Söhne wollen, dass ihre Väter sie davor bewahren, unter die Fuchtel der Mutter zu geraten. Sie fürchten, dass das Weibliche ansteckend ist. Sie wollen nicht, dass es abfärbt, die Natur will es nicht. Die Söhne wünschen sich, mit den Vätern abzuhängen, mit ihnen gesehen zu werden, mit Mannsbildern zu tun, was Männer so tun. Doch wenn die Väter abwesend sind, dann bleibt den Jungs alsbald nur, das Mannsein zu spielen – und die ganze Welt zu täuschen. – Meine Herren, das ist der Teufelskreis des Peter Pan, der in Wirklichkeit Kapitän Hook hoch zwei ist.«
    Mit hochrotem Kopf hatte er geendet, Robert Rösch erinnerte sich genau, und auch die Sätze der Professoren stiegen wieder in ihm hoch, die ihn in weniger als einem Monat vernichtet hatten.
    »Die Kommission zieht sich zur Beratung zurück.«
    »Die Kommission hat entschieden, dass Sie auch in der Nachprüfung durchgefallen sind.«
    »Die Kommission spricht eine Empfehlung aus: Gehen Sie zu einem Psychologen.«
    »Die Kommission meint, als Lehrer für Sozialkunde sind Sie ungeeignet.«
    »Die Kommission betont: Ein interessanter aber absolut unwissenschaftlicher Vortrag, junger Mann!«
    »Die Kommission wünscht Ihnen für den weiteren Lebensweg alles erdenklich Gute!«
    Robert Rösch klangen diese Sätze heute noch nach. Hatten sie einen Schock ausgelöst oder waren sie eine Befreiung gewesen? Kraftvoll zerschnitt der Verarbeiter die Fische in immer höherem Tempo. Er hörte weder Richard noch Christian, die fluchend die Geschwindigkeit zu halten versuchten.
    Wer mit offenem Blatt spiele, brauche sich nicht zu wundern, wenn er verliere, hatte sich Robert Rösch in den letzten Jahren oft gesagt. Er hatte sich gefragt, ob er sich mit Absicht selbst geschadet habe? Ob er die Niederlage provoziert habe? Ob er von anderer Stelle neue Bestätigung gewollt habe? Sei bei der Prüfung schon der Lebensweg als Hochseefischer gelegt worden? Habe er zwanghaft reagiert? Robert Peter Pan Rösch? Hier sei er doch ein Spezialist geworden!
    Hier bekam er Anerkennung über Anerkennung, weil er die Kurznasenseefledermaus wie kein anderer häuten konnte. Weil er den Kameraden einen guten Nebenverdienst besorgte, indem er die kostbare Haut der Seefledermaus für den Verkauf vorbereitete. Die Häute, die er gegerbt und verarbeitet hatte, waren auf der ganzen Welt gefragt. Der Kommandant hatte doch schon angeregt, dass er, dass Robert Rösch, sich einen Stempel anfertigen solle. Er solle seine Arbeiten kennzeichnen, um noch höhere Gewinne zu erzielen. Der Robert-Rösch-Stempel! Die ›Rösch-Qualität‹.
    War dies das Leben, das er gesucht hatte, nachdem er von der Demenz seiner Mutter erfahren hatte? Wenn er ein Peter Pan war, unfähig zur Verantwortung und Selbstliebe, dann konnte er doch als Lehrer sowieso kein gutes Vorbild sein. Fiel diese Erkenntnis mit der Erkrankung der Mutter zusammen? Hatte sie ihm damit wieder einmal einen Weg verbaut, wie sie es schon sooft getan hatte, oder hatte sie ihn vor einer Sackgasse bewahrt? Wie hätte der Robert Rösch Stempel ausgesehen, mit dem er als Lehrer gearbeitet hätte? Hatte sie ihn vor einer Enttäuschung bewahrt? Diese Krankheit der Mutter, die ihn so aus der Bahn geworfen hatte? Robert Rösch verschwammen die Fakten, er konnte sich kaum noch konzentrieren. Wenn er als Lehrer gescheitert wäre, wäre das nicht einem Selbstmord gleichgekommen? Er wollte nicht, dass seine Mutter ihn am Ende noch vor sich selbst beschützt hatte, unbewusst und wie immer unpersönlich, aber vielleicht war es trotzdem so? Rösch schnitt wild ins Fleisch des Rotbarsches. Er achtete nicht mehr

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