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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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setzten. Der Wal schwamm, aber nicht lange, die Männer mussten rasend schnell arbeiten. Wenigstens konnte das tote Tier sich nicht mehr drehen, war es doch angebunden. Trotzdem war es ein Wagnis, sich auf der nassen, glänzenden und zähen Haut zu halten. Stunden vergingen, Schlag auf Schlag folgte, und ständig die Angst vor dem Ruf aus dem Ausguck: ›Haie in Sicht!‹ Die Angst vor dem Feind, der ihnen die Beute streitig machen würde, trieb die Männer zu Höchstleistungen an. Sie kämpften gegen den Blutfluss an, der ins Meer strömte und die Haifische anlockte; wie oft hatte dieser Kampf nicht verloren gegeben werden müssen! Früher! Tommy musterte den Kopf des Blauwals, der jetzt ganz auf dem Flensdeck lag. Er wusste, als früher die Pottwale gejagt wurden, da ging es noch anders zu. Der Kopf eines Pottwals machte ein Drittel des Gewichts aus. Zwanzig Tonnen. Zwanzig Tonnen, die damals nicht an Bord gehievt werden konnten. Schlag um Schlag, die Männer mussten also außerhalb des Schiffes auf der glatten Haut stehen und um ihr eigenes Leben bangen; auf der nassen Haut, die wie Gummi war und selbst Explosionen standhielt, auf der Haut, auf der es nichts zum Festhalten gab – und hatten die Männer den Wal endlich geköpft, dann ließen sie das Haupt zunächst unbearbeitet im Wasser, drohten doch die anderen vierzig Tonnen des Kadavers das Schiff zur Seite zu ziehen, so dass es Schlagseite bekommen würde. Es würde kentern, würden die Männer jetzt nicht schnell sein, da der Walkopf den Walleib jetzt nicht mehr oben hielt. Sie machten den Leib wieder los, so dass er sich drehen konnte, und was für ein Durcheinander! Was für ein Wirrwarr aus Taljen und Flaschenzügen, die an den Masten befestigt waren oder angeschlagen an der Außenhaut des Schiffes, und dazu die Seile, Ketten und Taue, die sich kreuzten und an denen die Arbeitsbühnen heruntergelassen wurden, auf denen sich die Männer festhielten. Sie hatten die Flensspaten in den Händen, während sie neben dem frei schwimmenden Kadaver heruntergelassen wurden. Ein letztes Mal wischten sie sich über die Stirn, ehe sie die rasiermesserscharfen Spaten am Ende der langen Stiele anpackten, mit ihnen die gummiartige Haut aufschlitzten und das erste Stück Fett herausschnitzten, Blubber genannt. So groß wie ein Handballfeld! Tonnenschwer. Einer der Männer ergriff einen der herunterhängenden und um sich schlagenden Haken, trieb ihn in dieses Stück Blubber und gab das Zeichen zum Hieven, während die Kerls weiter Schicht um Schicht vom Koloss abspachtelten, der sich schließlich ein letztes Mal drehte und so die andere Seite freigab. Er drehte sich um die Längsachse, gehäutet, geschlachtet, zur Hälfte ein Skelett. Nirgends mehr auch nur noch ein Fetzen Blubber ! Später kam man darauf, nur noch Anfänge in die Fettschichten des Wals zu schneiden, in ihnen die Haken zu verankern, mit Bolzen und Schrauben, und dann vom Fockmast aus die Schichten mechanisch über die Winden abzuschälen, sauber und spiralförmig wie bei einer Orange. Diese dicken Blubberspiralen wurden an Bord in fünf Meter lange Stücke zerteilt, je eine Tonne schwer, die danach in der Luke verschwanden. Hinab in die Blubberlast , bis alles Fett vom Wal geerntet war. Diese tonnenschweren Stücke wurden Deckstücke genannt, die wiederum in Pferdestücke zerlegt wurden, welche nun wieder zu Bibelblättern gemacht wurden, indem ins Fett viele parallele Schnitte bis zur Haut gezogen wurden, so dass die Stücke dann wie aufgeschlagene Bücher aussahen. Diese Bibeln wurden mit großen Gabeln aufgespießt, in die vordere Luke geschleudert und dort in den Siedekessel geworfen. Die Bibelblätter wurden verbrannt, zuerst noch mit Holz, doch schnell erkannte man, dass die Walhaut selbst ein viel besserer Brennstoff war. So wurde der Blubber zu Öl gesiedet und der Wal mit Hilfe seiner eigenen Haut verbrannt. Das aus dem Blubber gewonnene Öl wurde vorsichtig in einen kupfernen Kühlbehälter geschöpft, wo es bis zur Abfüllung lagerte. Das Segelschiff aber war über und über bezogen mit dicken Schichten von Tran und Blut und dem Gestank des gehäuteten und verbrannten Wals. Die Barten für die Korsette der Damen lagen gesichert in der Hecklast, als das abgekühlte Öl in Fässer gefüllt wurde, die vom Böttcher erst an Bord gefertigt wurden, um Platz zu sparen. Doch ständig und immer die Angst, die Todesangst vor dem Funkenflug. Wie viele Walfängerschiffe waren nicht vom Feuer vernichtet

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