Letzte Fischer
Ganzen sah das Teil aus wie die Geräte im Lehrbuch ›Walfang – Technik, Teil I‹. Diese Kanone glich jener, die Svend Foyn vor fast hundertfünfzig Jahren erfunden hatte. Diese Harpunenkanone hatte damals den Walfang revolutioniert, und Tommy hatte sie eine glatte Eins eingebracht. Diese hier bestand zwar aus nicht rostendem Metall, das war damals noch nicht möglich gewesen, aber sonst war alles wie bei seiner mündlichen Zwischenprüfung. Schwarzer Anstrich, um die Wale nicht durch eine Reflexion aufzuscheuchen. Das Geschützrohr maß hundertzwanzig Zentimeter und war auf ein Gestell montiert, so dass das Abschussrohr nach backbord und steuerbord wie auch nach unten und oben gedreht werden konnte. Waren die ersten Exemplare noch Vorderlader gewesen, kam man schnell zur Erkenntnis, Hinterlader seien sicherer und effektiver. Kein Mann mehr nötig, der sich während der Jagd über die Reling hängen und den schweren Speer ins Rohr stecken musste. Der Schaft der Harpune war unter Deck mit einem schweren Tau verbunden, das mit einer Reihe von Federn und Rollen verzurrt war, die den Aufprall nach dem Schuss abfingen und dafür sorgten, dass das Schiff den riesigen Wal wie einen kleinen Fisch an der Angel halten konnte. Dieser Akkumulator bewirkte, dass der waidwunde Wal das Tau nie so straff ziehen konnte, um das ganze Schiff umzureißen oder um es so genannte Bocksprünge machen zu lassen, wie es vor der Zeit der Harpune üblich war. Die Technik sei simpel und zuverlässig, es schien Tommy, als sei dies ein Naturgesetz: Funktioniere etwas simpel, dann sei es auch zuverlässig! Aber wenn etwas zuverlässig war, funktionierte es dann auch simpel? Tommy wischte die Kanone trocken, reinigte das Innere des Rohres sorgfältig, wobei er sich auf die oberste Strebe der Bugreling setzte, nachdem er sich mit einem Palstek gesichert hatte, und putzte das Gerät überall dort, wo er rankam. Von der Brücke aus sah der Kapitän seinem Bootsjungen wohlwollend zu. Der zeigte keine Angst vor dem Wasser! Dass er fast mit dem Arsch in den Bugwellen hing, interessierte ihn gar nicht. Der hatte nur Augen für seine Arbeit, und gut vertäut hatte er sich vorher auch! Er habe Glück mit dem Jungen, meinte der Kapitän und befahl dem Steuernden: »Fahr für ein paar Minuten im Windschatten, bis der Bengel da vorne fertig ist.«
»Mach ich doch glatt!«, sagte der Steuernde, dem die Turnerei des Jungen ein wenig Angst gemacht hatte. Bedächtig lenkte er die Rimbaud ins lange Stampfen der See, doch Tommy bemerkte es nicht. Er kam nach dem Reinigen wieder von der Reling, holte die Taue ein und legte sie aufgerollt so übereinander, dass sie sich beim Abschießen nicht verheddern konnten. Die Speere lagen unterm Sitz der Größe nach geordnet und griffbereit, zufrieden sah Tommy sich um und verließ kurz darauf die Vorpieck. Er winkte kurz zur Brücke hoch, der Steuernde gab zum Zeichen, dass er verstanden hatte, ein Hupsignal und nahm den alten Kurs wieder auf. ›Wie ein alter Hase‹, dachte er: ›Der wird bestimmt unser nächster Walgeneral !‹
Die Fangklappe war schon heruntergelassen, und gerade wurde der riesige gräuliche Lappen, der an manchen Stellen weiß war, mit dicken Ketten ans Deck gezogen, als Tommy hinzukam. Der Unterkiefer des Muttertieres war heruntergeklappt, die Zahnreihe war gut sichtbar. Das Meer brach sich noch immer an diesem zur Hälfe gehievten Leib, in dem die toten Augen so winzig waren. Und erst die Barten, wie klein! Die hatte Tommy sich doch größer vorgestellt, diese Barten vor dem Maul, an denen die winzige Nahrung millionenfach hängen blieb. Wegen dieser Barten wurde der Wal damals gejagt, vor hundert Jahren oder vor dreihundert, Tommy konnte es zeitlich gerade nicht einordnen, er sah zu, wie der gigantische Leib Meter um Meter hochgezogen wurde, und dachte daran, dass aus diesen biegsamen und doch festen Walteilen früher die Korsetts für die Frauen der besseren Gesellschaft hergestellt worden waren. Vor hundert Jahren oder dreihundert.
Früher waren es armdicke, verrostete, blutgetränkte und vor Fett glänzende Ketten, die durch den Kopf des toten Wals gezogen und um die waagerechte Schwanzflosse herumgebunden wurden. Als erstes wurde der herausgerissene Unterkiefer an Bord gezogen, um ihn sich für die spätere Verarbeitung aufzuheben. Dann wurde der Wal geköpft. Tommy sah es vor sich, wie damals Dutzende Männer auf dem Walkopf standen und unermüdlich mit langstieligen Äxten Hieb um Hieb
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