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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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sollte sein Werk denn weiterführen, wenn er einmal nicht mehr ist, das war die Frage. Er guckte Alexander an. Aber der wußte es ja auch nicht.
     
    Alles Gähnen, Dehnen und Strecken nützte nichts, hier wurde nicht lockergelassen. Die Bundesrepublik habe kein Gespür für die Wirksamkeit kulturellen Engagements, die DDR schon eher! Zum fünfundsiebzigsten Geburtstag nichts aus Bonn! Keine Zeile!
    Dann wurde die Marschmusik abgestellt, und der Professor beichtete ihm, daß er Gedichte verfasse, und er fragte Alexander mit keckem Gesichtsausdruck, die Zungenspitze zwischen den Lippen, ob er ihm mal was vorlesen soll? Ein oder zwei Gedichtchen? Es dauert nicht lange. - Und dann kam das Furchtbare: Er las Alexander seine sämtlichen Werke vor, alles, was ihm in seiner Einsamkeit zugeflogen war. Gedichte! Eines nach dem anderen! Obwohl Alexander es wieder und wieder laut und deutlich sagte, er habe zu Lyrik keinen Draht, folgte ein Gedicht dem anderen, wie die Waggons eines Güterzugs, Sonettenkränze, Zyklen … Meist nach Hermann Hesse, mit einem Schuß Tucholsky …
    O Ann-Marein!
Es war Oktober, als ich jüngst
des Maies eingedenk den Wald betrat …
Was du im Frühling eifrig düngst,
noch nie die Frucht verweigert hat.
O Ann-Marein!
    Alexander saß auf der Oberstockkoje und ließ die Beine baumeln. Es wurde immer dunkler, und der Professor in seiner Ecke las und las … Und dann dachte Alexander: Das bin ja ich, der da in der Ecke sitzt und liest, und die Fotos über dem Fenster? Das sind ja meine Eltern! - Aber: Wer ist dann der andere?
     
    Schätzing sei auch hiergewesen, der habe ihm auch so intensiv gelauscht, sagte der Professor, als sie schon im Bett lagen und sich die Frage stellte, ob der Professor wohl schnarchen würde? Schätzing habe sich übrigens über ihn freundlich geäußert.«Sowtschick kommt?»habe der gesagt.«Der gehört zu unsern Besten.»
    Beim Füßevertreten, unten am Meer, sei er auf den Steinen ausgeglitten und ausgerechnet auf das kranke Bein gefallen!

27
    Mit den Indianern hatte Alexander es zu tun gehabt, mit den Amish People, und nun kamen die Mormonen an die Reihe. Im Mormonen-Staat Utah wurde Alexander von einem freundlichen Herrn in himmelblauem Anzug vom Flughafen abgeholt. Zuerst nicht und dann doch. Sowtschick stand schon ein paar Minuten in der Halle herum, allmählich aufbrausend. Geht das schon wieder los?, dachte er, wie in Philadelphia? Muß ich wieder mit dem Taxi fahren?«My name is Alexander Sowtschick …»
    Dann aber kam eben doch ein eiliger Herr gesprungen, schaufelte sich durch die Menge und winkte schon von fern. Gnade! Gnade! - Der Mann hieß Flowers, und er sagte: Gott sei Dank! Eine neue Ausfahrt auf dem Highway, nicht gewußt, zu spät erkundigt. So was soll man eben nicht machen, auf den letzten Drücker losfahren, wenn man einen lieben und so berühmten Gast abholen will … Das stimmte Alexander milde. Flowers war Professor, und er sprach ein besseres Deutsch als so mancher Deutsche. Mit bebenden Nasenflügeln horchte er auf das, was Sowtschick redete, ob er nicht vielleicht eine neuartige sprachliche Wendung erhaschen kann und seinem makellosen Wortschatz einverleiben.
     
    Alexander sagte: Wie gut, daß ich mal wieder einen Deutschen treffe!, und war damit ins Fettnäpfchen getreten. Nein, ein Deutscher sei er nicht, niemals, nirgends. Soweit komme es noch. Der Mann schien ehrlich betreten.
    «Gott sei Dank nicht!»
    Und Alexander hatte ihn doch gar nicht beleidigen wollen …
    Die Fahrt ging durch flaches Land. In der blauen Ferne schroffe Berge, schneebedeckt.
    Im Autoradio gab es eine Station für Klassik, weil Sowtschick vom Kontinent stammte, wurde sie eingestellt, so ist es ja nicht, daß er hier zu Banausen kommt! Unter allerlei Gekrächz und Gedonner war so recht nichts zu identifizieren. Irgendwie Donizetti, also witsch!, ausstellen das Dings.
    Flowers fuhr einen betagten Cadillac, gelb, dreihundertsechzig PS, ein Auto nur für besondere Gelegenheiten … der saufe soviel Sprit, als ob man die Klospülung angestellt hat, sagte er, fünfunddreißig Liter auf hundert Meilen. Für täglich habe er einen VW. Aber die Einholung Sowtschicks sei eine gute Gelegenheit, den alten Freund mal wieder aus der Garage zu holen.
     
    Flowers war ein«Member», also ein Mormone. Natürlich fragte Alexander nicht danach, ob er mit mehreren Frauen zusammenlebe. Eine einzige Frau hatte er nur, aber sechs Kinder, wie alle Members.
     
    Auf halber Strecke

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