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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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geführt habe. Jetzt sei es dazu zu spät …
     
    Alexander setzte sich an das winzige Fenster und guckte an staubigen Topfpflanzen vorbei auf die diesige See, und der Professor erzählte von der Metamorphose, die er selbst durchgemacht hatte: In Süddeutschland aufgewachsen, Kleinstadt, Landschulheim, Wandervogel … Die Eltern, an nichts Böses gedacht, der Vater sogar im Ersten Weltkrieg Soldat, und dann die Nazis! Die Eltern hatten ihn weggeschickt, als es noch ging, und waren dann abtransportiert worden in den Osten. Nie wieder was gehört von ihnen, und nun saß er hier und versuchte, jungen Leuten die deutsche Sprache nahezubringen, junge Menschen um sich zu scharen und sie für deutsche Kultur und deutsches Wesen zu begeistern. Merkwürdig genug!
    Die andern hätten immer wieder gefragt: Warum machst du das, warum machst du das?
     
    Über dem Fenster hingen die Fotos der Eltern, und auf der See flogen Pelikane hin und her. Alexander hatte gar nicht gewußt, daß es in Amerika auch Pelikane gibt.
    Allmählich wurde Alexander klar, daß sich dieser Besuch lange hinziehen würde - sobald käme er hier nicht wieder weg! Hatte er denn seine Zeit gestohlen? Er verfluchte den Entschluß, sich auf diesen Ausflug eingelassen zu haben. Viel lieber hätte er dem Hund den Ball aufs Dach geworfen, noch und noch. Oder dem südländischen Mädchen die Metamorphosen erklärt. Irgendwann würde sie’s schon begreifen.
     
    Der Professor schlug ein gemeinsames Füßevertreten vor.«Nun müssen wir uns erst einmal die Füße vertreten», sagte er. Und daraus wurde dann ein ziemlich endloser Spaziergang am Ufer des Meeres. An den weißen Villen reicher Leute kamen sie vorüber, die Jack O’Brien hießen und Mary Patton. Immer eine nach der anderen, mit gläsernen Aussichtsaufbauten und Booten in der Garage.«Diese Leute sind alle nach mir gekommen», sagte der Professor, und er zählte Namen her, die Alexander allesamt noch nie gehört hatte. Der Professor winkte Männern zu, die mit Ferngläsern den Strand absuchten,«Bodyguards». Alle kannten ihn, aber manchmal kannten sie ihn auch nicht. Was sie hier zu suchen haben, wurden sie von einem kräftigen Mann gefragt. Aber vom Haus kam schon ein kurzer Pfiff, und die Chose war geritzt.
    Ob hier auch Schriftsteller wohnten?, fragte Alexander, denen hätte er vielleicht einen kurzen Besuch abstatten können:«My name is Alexander Sowtschick …»
    Nein, die wohnten alle mehr im Süden.
     
    Sie warfen Steine ins Wasser und sammelten Holzstücke auf, von der See ausgewaschen und verformt. An Borkum erinnere ihn das hier, sagte der Professor.
    «Kennen Sie Borkum?»
    Nein, Borkum kannte Alexander nicht. Auch die Frische Nehrung kannte er nicht … Was? Sie kennen die Frische Nehrung nicht? Ein begabter Autor, wie hieß er noch, Jonathan Fabricius, gar nicht so schlecht, sei vor vierzehn Tagen dagewesen und habe aus seinem Ostpreußenbuch gelesen …«Kennen Sie den?»«Und Herder? Haben Sie Herder gelesen? Nein, auch nicht? Und Wieland? - Auch nicht? - Und wie steht’s mit Schelling? Nein?»
    «Nein», sagte Alexander Sowtschick fest.«Aber Barthold Hinrich Brockes! 1680 -1747.»- Und den kannte der Professor nun wieder nicht …
     
    Schließlich saßen sie wieder in der Hütte am Tisch und verzehrten einen gebratenen Fisch, der Professor hatte ihn bereitet. Zum Schluß aßen sie von Alexanders Pfirsichen, daß es ihnen aus dem Mund troff. Dann legte der Professor Marschplatten auf und referierte seine Krankheiten der Reihe nach, das gleichzeitige Ziehen mehrerer Backenzähne und die Darmoperation letztes Jahr, daß man sein Gedärm an einer geheizten Edelstahlvorrichtung aufgehängt hätte und nach der Operation alles wieder reingestopft in die Bauchhöhle.«Ich habe schwarz erbrochen!»- Schwarz hatte Alexander bisher zwar noch nicht erbrochen, aber er konnte auch nicht klagen.
    «So gute Pfirsiche habe ich in meinem Leben nicht gegessen», sagte Alexander zu dem Professor, der es sich als Verdienst zurechnete, daß es in Amerika so gute Pfirsiche gab.
    Zwanzig Jahre lang existierte seine Akademie nun schon, seine ureigenste Idee. Herrliche Zeiten hatte er erlebt. Die Anfänge, die Höhepunkte, aber nun alles ziemlich schwierig. Das Bundesverdienstkreuz immerhin gekriegt, und vom Bundespräsidenten eingeladen worden nach Bonn. Aber nun wollten sie ihm die Zuschüsse streichen!
    «Können Sie da nicht etwas machen? PEN-Club, Schriftstellerverband, Öffentlichkeit …»
    Wer

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