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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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passierten sie den Salzsee, eine weite weiße Fläche. Eine Versuchung für wild gewordene Rennfahrer in Spezialautos. Hier war schon so mancher Rekord gebrochen worden. - Es sei geplant gewesen, auf dem Salzsee Atomraketen hin und her zu kutschieren, auf riesigen fahrbaren Abschußrampen. So was wär von den Russen im Falle eines Falles nicht richtig zu orten, sagte Flowers, von daher ganz plausibel. Bürgerproteste und Gebete hatten die Sache aus der Welt geschafft.
     
    Salz. Feindliche Natur, und genau hier hatten sich die ersten Mormonen angesiedelt. Das karge Land war eine besondere Herausforderung gewesen für die Menschen seinerzeit.
     
    Man fuhr dahin, den fernen Bergen entgegen, die immer weiter wegzurücken schienen, und Sowtschick erzählte von den Amish, die Flowers als Backwoodmen bezeichnete. Nebenbei wurde sondiert, was von der deutschen Literatur zu halten ist. Die Klassik natürlich, das war ja ohne weiteres klar. Einwandfrei! Ob er schon mal in Konstanz gewesen wär, wurde Alexander gefragt, Heinrich von Wittenwiler, fünfzehntausend Verse, er mache grade ein Buch darüber, eine Schwankdichtung, vorn und hinten fromm und in der Mitte ziemlich deftig.
    Sie farzeten wie die Waldesel …
    Letztes Jahr sei er zum ersten Mal dort gewesen. Meersburg? Die Droste? Ja, den Kollegen Buckrice kannte er. Als Flieger in Vietnam Schlimmes erlebt, schwer verwundet. Übrigens ein guter Saxophonist …
     
    Dann wurde Sowtschick nach Zeitgenossen ausgefragt, was er von diesem und von jenem hält, von Gisela Flüsser und von Renate Fuchs? Und Sowtschick achtete genau auf den jeweiligen Unterton in der Frage, damit er die Meinung erriete, die hier vorherrschte, und sich nicht unnötig in die Nesseln setzte. Einig war er mit Flowers darüber, daß die Begeisterung für die Lyrikerin Gisela Flüsser gerechtfertigt sei. Kein Wort gegen diese Frau! Ihr schrecklicher Tod hob ihre Kunst in unantastbare Höhen.
    Auch gegen Renate Fuchs nichts sagen! Deren beharrlicher, wenn auch nicht recht beweisbarer Gegenkurs zur SED-Regierung wecke immer wieder Erstaunen und Bewunderung. Dieser Mut! Die Fakultät erwäge es ernsthaft, ihr den Doktorhut zuzusprechen. Jetzt wäre vielleicht die Zeit gekommen. Wo sich die Sache da drüben auflockerte.
     
    Sowtschick sagte, daß er auch Adolf Schätzing eigentlich ganz gut leiden kann. Irgendwie asketisch-kristallin seine Sachen. - Darauf wurde jedoch nicht weiter reagiert.
     
    Dahin, dahin fuhren sie, den fernen Bergen entgegen, die mal blauschwarz drohten, dann wieder durch Sonne ins rechte Licht gerückt.
    Endlich waren sie am Ziel. Eine Universität mit einer freundlichen Stadt drumherum, in einem flachen Tal mit vielen Bäumen und Seen. Es war, als ob Musik angedreht wurde, so breit und schön lag alles da.
     
    Für die Gäste aus Deutschland, Frau Butt-Prömse, die Herren Scharrenhejm und Schätzing und für ihn, den Senior der Mannschaft, hatte die Verwaltung der Mormonen-Universität ein Haus angemietet und mit ausrangierten Möbeln behaglich eingerichtet. Ein Fernsehapparat stand in der Wohnstube, den ließ Flowers sogleich aufflimmern - ja, er funktionierte, also konnte nichts passieren. Alles wundervoll: Sessel, runder Tisch mit handbestickter runder Decke darauf, und in der Küche ein wohlgefüllter Kühlschrank. Auch ein Toaströster war nicht vergessen worden, nagelneu, der aber leider nicht funktionierte. Auf dem Schreibtisch stand sogar eine elektrische Schreibmaschine, und das Bett im Schlafzimmer war frisch bezogen.
     
    Die märchenhafte Aussicht würde ein Hemmnis für konzentriertes Arbeiten sein - die Schneeberge unter dem immerfort knallblauen Himmel -, aber Sowtschick hatte nicht die Absicht zu arbeiten. Sein Roman? Der sollte ruhig etwas durchsäuern, die dreiundsechzig vorhandenen Seiten gaben festen Halt. Lieber ein paar Reiseeindrücke notieren. Houston. Orlando. Leider ließen sich nur noch vage Eindrücke aufstöbern auf den umgeschlagenen Seiten der letzten Wochen.
     
    Das ganze Haus war für ihn gedacht, und vor dem Haus stand sogar ein Mietwagen der Universität, mit gefülltem Tank. Sechzehn Dollar pro Tag koste er, wurde gesagt. - O Gott, dachte Sowtschick, wie popelig behandeln wir dagegen unsere Gäste! Die dänischen Pfadfinder allerdings, denen Marianne in Sassenholz jetzt die Smörrebröds schmierte, waren gewiß auch gut bedient?
     
    Auf Schätzing war zurückzukommen -«Definitionen I, II, III». In der letzten Woche habe man ihn hiergehabt,

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