Letzte Gruesse
sagte Flowers, ein feiner Mensch. Allein angereist, alles in Ordnung, aber dann habe sich plötzlich ein weibliches Wesen eingestellt, aus New York gekommen - und so was ging nicht in dieser Stadt, das hatte man ihm klarmachen müssen, und da war er dann sofort abgereist, beleidigt, nach kurzem Hin und Her, obwohl’s ihm nicht gutging. Anscheinend Schmerzen im Bein. Die junge Frau hatte vorwurfsvoll geguckt. Daß die Mormonen einen Gast wegschicken, obwohl’s dem nicht gutgeht. Ob das christlich sei?
Schade eigentlich, an sich ja ein kluger Kopf,«Definitionen I, II, III». Schade um den Mann. Aber mit einer Frau hier zu wohnen, in unverheiratetem Zustand, obwohl verheiratet …
Nein, das konnte nicht geduldet werden.
Daß Schätzing in Berlin sogar mit zwei Frauen in eheähnlichem Verhältnis zusammenlebte, behielt Alexander für sich, obwohl das in dieser Stadt vielleicht entlastend gewirkt hätte. Schätzing habe die Frau hier quasi einschmuggeln wollen, sagte Flowers. Eine von langer Hand vorbereitete Sache. Man hatte noch gezögert,«Gnade vor Recht», aber der Rektor hatte sich eingeschaltet, eine ganz große Angelegenheit, das deutsche Kulturinstitut in New York, die deutsche Botschaft und so weiter und so weiter. Ein Auge zudrücken wär nicht gegangen. Und Flowers deutete an, daß auch er dadurch in Schwierigkeiten geraten sei!
Das frisch bezogene Bett. - Hatte Schätzing hier oder hatte er nicht? Eine Nacht war ihnen doch wohl beschieden gewesen. Hafteten noch Seufzer an der Tapete? In der Auslegeware? Im Spülstein der Küche?
Der Campus lag ganz in der Nähe. Man konnte ihn mal so rum und mal so rum erreichen. Eine ausgedehnte Sache, von einem reichen Member gestiftet und im Mussolini-Stil errichtet: Naturkräftige Männer und Frauen aus Granit verzierten den Eingang, sie waren an säulenartige Vorsprünge geheftet. Alles ohne Graffiti jeder Art, keinerlei deutsche Sauerei. Wie soll man denn in einem Gebäude arbeiten können, das von oben bis unten mehr oder weniger obszön beschmiert ist? Laß doch der Jugend ihren Lauf? - Daß sich die sonst so ordentlichen Deutschen das gefallen ließen, war unbegreiflich.
Die Sonne schien, es war warm, und auf dem weiträumigen Gelände ergingen sich Studenten und Studentinnen gemessenen Schrittes und in angemessenem Abstand. Auf dem Rasen übte eine Blaskapelle Choräle. Während des Blasens marschierten sie mal vor, mal zurück und auch mal quer und kreuz. Das war bestimmt nicht so einfach! An bestimmten Höhepunkten ihrer Musik stampften die jungen Leute im Paradeschritt auf der Stelle, manchmal machten sie während des Spielens auch kehrt, alles gut trainiert und soli deo gloria.
Daß die Rasenkanten abgelatscht waren an den Wegrändern, beanstandete Flowers, und dafür bat er den deutschen Gast ausdrücklich um Verzeihung. Was hatte man schon alles unternommen, um die Studenten vom Abkürzen des Weges abzubringen! Es hatte sich sogar schon mal jemand mit einem Fernglas ans Fenster gestellt, um die Leute dingfest zu machen, die so was machten, die Kanten ablatschten usw. Das war dann allerdings abgestellt worden. So weit wollte man es denn nun doch nicht treiben. Jugend muß sich auch mal austoben können.
In einem Hinterhof übrigens, ziemlich abgelegen, wo sonst die Tankwagen hielten, die das Öl brachten für die fauchenden Klimaanlagen, hatte man der Jugend eine Meckerecke eingerichtet, hier durften sie sich auf eine Hyde-Park-Kiste stellen und ihre Meinung äußern, auch wenn’s der Universität gegen den Strich ging. Dort wurde auch die Frage der Ablatschung von Rasenkanten regelmäßig erörtert, aber gegen diese Unsitte war nicht anzukommen.
Ein Bibliotheksturm, ein Kino, zwei kleine Theater, sogar ein eigenes Postamt.
Es gab auch eine Buchhandlung auf dem Areal, in der wurden die Werke von Schätzing gerade abgeräumt und in Kisten verpackt. Gedichte, die sogar ins Japanische übersetzt worden waren, kundig in Haikus umgeformt. Man hätte sie vielleicht toleriert, aber das mit dieser Frau da, nein, das war denn doch ein starkes Stück.
Es war im Laufe der Jahre schon eine ganze Reihe deutscher Autoren hiergewesen, die Fuchs natürlich, für die man habe Lautsprecher nach draußen verlegen lassen müssen, weil so viele Menschen zusammengeströmt seien, Niels Pötting, Hinze aus Mölln, Kargus aus St. Peter, kürzlich auch Ellen Butt-Prömse, die bekannte Lyrikerin aus Wuppertal. Udo Scharrenhejm nicht zu vergessen
Weitere Kostenlose Bücher