Letzte Gruesse
zum Überleben nötig ist, und beschloß, sich in Sassenholz auch so einen Vorrat anzulegen.
Soso, dachte Alexander, als er dann im Bett lag, ein älterer Herr mit goldener Brille bist du. Ja, das stimmte. So genau hatte er sich das noch nicht klargemacht. So genau hatte er es auch nicht wissen wollen.
Wehmütig dachte er an die Zirkusfiguren, in San Francisco mal gucken, ob er da nicht auch solche Figuren kriegt. Oder in Chicago. Und wenn es keinen Zirkus gebe, dann vielleicht einen Jahrmarkt? Mit Fahnenstangen und Bierzelten, Schießbuden und Merry-go-rounds? Er stellte den Mann mit den gelben Hosen, den er grade eben noch hatte retten können, auf den Nachttisch. Gerettet!, dachte er.«Dich habe ich gerettet …»
Und dann zählte er es wieder einmal an den Fingern her, wen er zum Siebzigsten einladen wollte und wen auf gar keinen Fall! Vielleicht Schätzing? Das könnte doch ganz lustig sein!
Am nächsten Morgen wurde der gelbe Cadillac aus der Garage geholt, und die ganze Familie brachte ihn, wie eng es auch war, zum Flughafen.
Von der Rolltreppe aus sah Alexander die Leutchen ihm nachwinken.
Als Sowtschick dann im Flugzeug saß, dachte er: Nicht Studienrat war der Vater gewesen, sondern Matrose ? Hatte er denn auf knarrenden Rahen gestanden?
29
Nun war die Einladung eines Mädchencolleges abzuarbeiten. Alexander hatte schon den Telefonhörer in der Hand gehalten, diese Zumutung abzusagen, er fühle sich krank, er sei wahrscheinlich sogar krank, durch und durch hinfällig … Nachts immer so eine sonderbare Unruhe in den Beinen … Und hin und wieder ein feuriges Horn vorm Auge?
Mit der Bahn mußte er fahren, die«Deutschen Wochen»hatten es in sich! Erschöpft! Erschöpft!
Aber eine Krankheit simulieren, das lag ihm nicht. Man soll so was nicht berufen, dachte er, sonst hat man es sich selbst zuzuschreiben, wenn man eines Tages wirklich krank wird und umfällt. Gott läßt sein nicht spotten!
Er würde nun also all das noch einmal herunterzuleiern haben, was er schon so oft von sich gegeben hatte: Ob man das Schreiben lernen kann, und wie man es anfängt. Und daß es gar nicht schwer ist, aber doch ganz schön verflixt … und dabei keck in die Gegend gucken und so tun, als ob er das zum ersten Mal in seinem Leben von sich gibt.
Es stand ihm bis oben hin.
Aber: ein Mädchencollege? Junge, braungebrannte Geschöpfe? Lichtweiße Gestalten am Waldrand tanzend im Taulicht der Sonne? - Mit Malven umkränzt würde er sich dem Kehrwieder seiner Reise eben doch ganz gern nähern. Auch das war ja möglicherweise ein Lebenshöhepunkt. Wer konnte denn wissen, wie sich das in seiner Vita ausmachen würde?
Gefällig seid und dienstbar diesem Herrn,
Hüpft, wo er geht, und gaukelt um ihn her.
«Bringen wir’s hinter uns», sagte er laut.
Siebzehn Stunden Bahnfahrt durch hitzeflimmernde Lande, endlos weite Links- und Rechtskurven. Zwei Lokomotiven ziehen die schweren Wagen. Wohinein bohrt sich die Sache?
Er hatte gut geschlafen die Nacht, ohne jede Unruhe in den Beinen, und ihm war nicht«komisch»oder unwirklich zumute. Auch das Horn war ihm nicht erschienen. Er war nicht krank, er war eher traurig gestimmt. Er hatte es einmal besessen, was so köstlich war. Lampions hatten vom Winde bewegt in den Bäumen gehangen …
Wohin, wohin soll ich mit dir,
o mein Geliebter, ziehn?
Alexander hatte ein Abteil für sich, eine Schlafkabine mit Toilette und Waschecke. Die Klimaanlage sorgte, wenn auch laut, für erträgliche Verhältnisse. Das Klo hatte man allerdings ständig vor Augen.
Füße hochlegen und dösen. Ein Buch geöffnet im Schoße liegen haben, aber nicht hineinsehen.
Wald, Wald, Wald … Eine Hütte an einem See mit Angler davor. Träge Vögel und ab und zu ein Schild auf der Strecke, auf dem BLOCK steht. Klipp-klapp.
Jetzt wäre es Zeit gewesen, das«Gleitflug»-Manuskript zu lesen, die Lebenserinnerungen des Herrn Kirregaards, aber er konnte sich nicht dazu zwingen.
Er läutete den schwarzen Waiter herbei. Der Mann trug eine Dienstmütze auf dem wolligen Kopf und servierte ihm gutgelaunt Kaffee und Schmalzgebäck. - Ah! Kaffee! Wenn auch die übliche Plürre … Er bedauerte die Members von Herzen: War es nicht dieses Getränk, unter anderem, was das Leben lebenswert machte? Kaffee oder Tee - und wieder einmal dachte er traurig an Sassenholz zurück, an die Morgenstunden, mit Marianne zusammen, in ihrem Pavillon: frische Brötchen mit Johannisbeergelee. Wenn es stürmte
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