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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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von der Sorte, die kleinen Kindern Candys wegnehmen.
     
    Bei den Flowers wurde er mit Hallo empfangen. Wie sich die Polizisten wohl erschrocken hätten, statt eines Strolches einen älteren Herrn mit goldener Brille aus dem Wagen aussteigen zu sehen … Und immer wieder erzählten sie es einander, daß man den Herrn Sowtschick für einen Strolch gehalten hatte.
    Er verteilte Bücher wie Briketts, und dann kamen auch schon die Kinder herbei, deren schreckenerregende Maskierungen Alexander bewunderte. Es wurde gebetet und Fliederwasser ausgeschenkt und Pfannkuchen gegessen, und hinterher gab es einen heißen Lindenblütentee, zwofach geseiht.
    Sowtschick erfuhr, daß es in dieser Stadt Strolche gebe, unverantwortliche Elemente, die den Kindern ihre Bonbons wegnehmen und die Geschenke, die sie in den Häusern für ihre Vermummungen bekämen. Auch sei vor einigen Tagen vor der Schule eine Kiepe mit rotbackigen Äpfeln abgestellt worden: in jedem Apfel eine Stecknadel verborgen.
    Ob auch das Members waren? - Es gebe eben in jedem Lande Verbrecher.
     
    Ein drahtiger Herr wurde Alexander vorgestellt, mit stark gewelltem, grauem Haar. Auch er lachte herzlich über die Geschichte. - Er habe gehört, daß Sowtschick sich für die Erlebnisse von Bomberpiloten interessiere, sagte er. Damit könne er nicht dienen, er sei ein«Fighter»gewesen, ein Jagdflieger. Einundzwanzig Einsätze über Deutschland, und dann abgeschossen! Das soll er sich mal vorstellen! Im letzten Augenblick noch rausgekommen! Hier, sein Augenlid habe heruntergehangen an einem Faden, es sei ihm aber wieder angenäht worden von einem deutschen Arzt.
    Der Mann sagte, daß er stolz darauf wär, sich so für die Freiheit eingesetzt zu haben.
    «How good it is, hard to work.»
    Der Abend endete damit, daß der Mann von Torturen erzählte, die ihm im Gefangenenlager zugefügt worden seien. Gehungert! Gefroren! Aber dann befreit … Und daß es Indianer unter den«Kriegis»gegeben habe, die ihre deutschen Wachmänner nach der Befreiung zu Tode gequält hätten.
    «Da war nichts zu machen.»
    Bomberpiloten kenne er keine, leider. Er sei auch noch nie einem begegnet. - Doch, in Baltimore, aber der sei jüdisch gewesen.
     
    Alexander verzichtete darauf, von dem Wortbruch der Amerikaner zu erzählen, die seine Kameraden an die Russen ausgeliefert hatten, und von den langen Jahren, die er in Rußland hatte sitzen müssen. Stacheldraht und dreihundert Gramm Brot pro Tag. Und so wurde es auch ohne Bier und Wein noch lustig an dem Abend, dafür sorgten schon die Kinder.
    Obwohl Sowtschick selbst kein Kind mehr war, so war er doch kein Kind von Traurigkeit, und er trug das Seinige zur Erheiterung der Runde bei: Was für ein schusseliger Mensch er ist, sagte er, und er bewies es den Leuten haarklein! Und dann wackelte er mit den Ohren, und die Kinder umdrängten ihn: Schneeweißchen und Rosenrot.
     
    Schließlich holte er die Zirkusfiguren hervor, die er in Boston gekauft hatte: Auf seinem Schreibtisch würde er sie deponieren, neben den Wiener Bronzen … Er öffnete die Schachtel … Sie sollen mal sehen, wie schön sie sind! Wie wundervoll bemalt! Und er holte sie Stück für Stück heraus. Er löste sie vorsichtig aus dem Seidenpapier, in das er sie geschlagen hatte, und hielt sie einzeln ans Licht und stellte sie auf den Tisch. Der Elefant mit dem Mädchen auf dem Rücken, die beiden Clowns mit roter Nase, Kamele und Wagen mit weißen Pferden davor, und das kleine rosa Schwein … Die Kinder ordneten die Figuren zu einem langen Zug und bedankten sich dafür! Und die Mutter rief:«Lovely!»Und: nein!, daß er den Kindern so was Schönes schenkt, und warf sie in den Deckel eines Schuhkartons; da lagen sie dann kreuz und quer. Den Mann mit den langen Beinen konnte Alexander grade noch herausfischen, der gehöre nicht dazu, den möchte er gern behalten.
     
    Ob er was mit der Katze des Nachbarn angestellt habe?, wurde er über den Tisch hinweg gefragt. Der Nachbar habe sich beschwert … und Frau Flowers fragte ihn, ob ihm die Tischdecke aufgefallen sei, die habe sie nämlich selbst bestickt. Sie wundere sich, daß er das gar nicht bemerkt habe.
     
    Am Schluß des Tages wurden ihm im Keller die Eßvorräte der Familie gezeigt, die jede Mormonenfamilie sich im Hinblick auf den nahenden Weltuntergang anlegen müsse. Mehl, Zucker, Konserven, sogar Frischwasser, das von einer Spezialfirma wöchentlich ausgetauscht werde.
    Alexander ließ sich eine Liste geben mit allem, was

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