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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Leber lagen bloß. Zunächst merkte Alexander das nicht, hielt das gar für freundliches Interesse an seinen Familienverhältnissen, und er berichtete von Schitti in Stuttgart, daß dessen Praxis sich mache, siebzig Patienten an einem Tag! Und von Klößchen, die eine Künstlerin von hohen Graden sei. - Dies alles interessierte die Dame -«Enkelkinder?»-, aber sie steuerte anderes Terrain an: Sie erkundigte sich bei Hammelkoteletts mit Ingwersauce nach jener unseligen Geschichte, in die er vor Jahren verwickelt gewesen war, die leicht ganz anders hätte enden können. Durch die ganze Presse war es gegangen, und noch heute dachte mancher: Vielleicht hat er doch?
    Waren nicht junge Mädchen verwickelt gewesen in die Affäre? Alexander schaltete um auf Haustiere. Die Hunde, die Schafe, die Hühner. Und er erzählte von der Kuh Bianca, für die er stets einen Schleckstein bereithalte. Es sei ein grotesker Anblick, wenn dieses Tier euterschlenkernd herbeigelaufen komme …
     
    «Haben Sie Kinder, gnädige Frau?»fragte Alexander die Dame.
    «So fragt man Leute aus», sagte sie da.
     
    Daß er nur wenig aß, wurde ihm als Unhöflichkeit ausgelegt. Der Abschied war denn auch frostig.
    Ob er in der Partei gewesen sei?, wurde er in der Tür gefragt. Und was er dazu sagt, daß die Soldaten in Berlin an der Neuen Wache im Stechschritt paradieren? Es war schwierig, diesen Leuten zu erklären, um was für Soldaten es sich da handelte.«Aber das sind doch auch Deutsche …», wurde gesagt.
     
    Sowtschick fand sich schließlich in einem kleinen schmalen Jazzlokal wieder, mit abkommandierten Institutsleuten und einem Museumsmann aus Köln, der ihm bestätigte, daß die Texte, die Sowtschick gelesen hatte, goldrichtig seien, und dann von haarsträubenden Kölner Stadtinterna berichtete, Etatintrigen, Postenkungeleien, alles Sachen, die Sowtschick nicht interessierten, weil er sie für völlig normal hielt. Wenn jemand mal für ihn intrigiert hätte, wäre ihm das durchaus recht gewesen.
    Die deutsche Sprache komme ihm so verhutzelt vor. Wenn man lange im Ausland lebe, sagte der Mann, kommen einem einzelne Ausdrücke recht altväterlich vor.«Verantwortung», was für ein sonderbares Wort. Als ob man die Waggons eines Güterzugs falsch zusammengestellt hat. Oder? -«Prüfstelle»und«Flugzeug»? Komisch, nicht?
    Ja, diesem Mann konnte recht gegeben werden. Obwohl es da noch ganz andere Beispiele gab:«Falschrichtungsfahrer»zum Beispiel.
    Aber Sowtschick konnte ja auch nichts dafür, und deshalb ärgerte er sich ein bißchen.«Wie herrlich leuchtet mir die Natur …»Sollte man dem Menschen denn mit Goethe kommen?
     
    Alexander trank zunächst einen Pernod, dann Whisky, und dabei lauschte er dem schwarzen Pianisten, der in einer dunklen Ecke des Lokals über das allgemeine Gebrabbel hinweg leise vor sich hinjazzte. Ein alter Onkel-Toms-Hütte-Mann, der mit seinen goldenen Fingerringen aussah wie ein Foto auf einer Plattenhülle. I’ve Got a Guy … Was er spielte, war Musik der guten alten Sorte, hübsches Swingzeugs, wie es in der Nazizeit verboten gewesen war, Sweet Georgia Brown … Im eisigen Rußland hatten sie beim Funker gestanden, wie die Obdachlosen in der Bronx, und hatten Louis Armstrong gehört. Ostentativ Jazz hören als antifaschistisches Bekenntnis? Nein, es waren auch SS-Leute dabeigewesen, die hatten auch mitgehottet.
     
    Alexander, der schon etwas zuviel getrunken hatte, ging hin zu dem Pianisten und erzählte ihm, er komme aus Deutschland,«Germany, you know», und diese Musik, die er da spielt, sei unter Hitler verboten gewesen, sie hätten sie immer nur heimlich hören können, das Radio extra leise gedreht.
    Der Mann verstand nicht, was Alexander von ihm wollte, wispert da was rum? - Und Alexander verstand nicht, was der Mann antwortete, das spezielle Idiom des Schwarzen war ihm unverständlich.
    Als der«Farbige»dann wieder in die Tasten griff, des Gespräches überdrüssig, war die Verständigung in einer anderen Sprache wiederhergestellt.
    «What is this thing called love?»
     
    «Warum lesen Sie denn nie in Köln?»fragte der Museumsmann, als er wieder an den Tisch trat. Schätzing sei schon mehrere Male in der Volkshochschule aufgetreten und habe wahre Ovationen eingeheimst, vom Seminarraum in den großen Saal habe er umziehen müssen … Alles schwarz von Menschen …«Kommen Sie nach Köln! Sie gehören doch nach Köln!»Er habe da Beziehungen, das werde er irgendwie deichseln. Vielleicht zum

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