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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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hätte«dichten»können.
    Ja, er kannte es, wenn auch nur flüchtig.
    Ein Taubenschwarm kam geflogen, wie sie da saßen. Es war vielleicht derselbe, dem sie schon im Central Park begegnet waren. Sie landeten vor Sowtschick und guckten ihn an. Trippelten hin und her und guckten ihn an.
    «Wie der heilige Franz sollte ich ihnen was vorlesen …», sagte er, und das gefiel Jennifer. Sie sah ihn von der Seite an.«Amüsiert», so müßte man sagen.
    Alexander trank das Glas aus - den Rest Wasser wegzuschütten, das wäre ihm denn doch zu unhöflich erschienen …
    Als es dann wieder ging, lieferte Jennifer ihn in der 5th Avenue ab. Und sie tat es recht behutsam. Vielleicht weil sie sich in ihm getäuscht hatte. Ein Mann, der die«Definitionen»kannte?«Am besten, Sie legen sich erst mal ein bißchen hin.»
     
    «Was machen Sie bloß für Sachen?»sagte die Sekretärin mit der hängenden Brille. Drohte sie ihm gar mit dem Finger? Vielleicht wäre es besser gewesen, man hätte diesen Herren nicht eingeladen in die USA, kippt womöglich dauernd um. Jede Menge Scherereien!
    «Bis heute abend!»sagte Sowtschick zu Jennifer, die sich schon abgewandt hatte.
    Heute abend? Sie wisse nicht, ob sie Zeit hat. Sie kann ja nicht jeden Abend zu einer Lesung gehen … Wie er es schaffen würde, in fünfundzwanzig Städten zu lesen, danach fragte sie nicht.
     
    Trinkgeld geben? Peinlich. Man würde ihr etwas zukommen lassen müssen, das war klar. Aber er konnte nicht so einfach in die Tasche fassen und einen Geldschein herausholen und ihr den vor allen Leuten in die Hand drücken. Schließlich war auch das«Wieviel»schwierig zu entscheiden. Würde sie ihn nicht für einen Stiesel halten, wenn er ihr zuwenig zusteckte? Und es dann überall herumerzählen: Dieser Mensch ist geizig bis dort hinaus...
    Wenn er ihr zu viel gäbe, wäre das nicht obszön? Das hätte nach Vorauszahlung ausgesehen.

11
    Das Gästezimmer des Instituts war wirklich sehr klein. Aber: Wer mochte hier schon alles übernachtet haben! Dichter sowieso, Schauspieler! Musiker! Maler! Und keine Spuren - nicht einmal ein Gästebuch vorhanden …
    Auch Schätzing hatte hier geruht, seine drei Koffer waren nun verschwunden. Vom Rasierwasser war nichts mehr zu riechen. Von Alexanders kleinerer Reisetasche war der Reißverschluß aufgezogen. Und das Buch von 70/71 - hatte er es nicht anders herum hineingesteckt?
    Sonderbar.
     
    Alexander setzte sich auf das Bett, und er versuchte es und rief zu Hause an, um zu berichten, daß ihm mal wieder«komisch»geworden sei, mitten auf der Straße. Und Marianne war im fernen Sassenholz auch sogleich am Apparat! - Daß ihm«komisch»geworden sei, sagte er zu Marianne in sehr zurückgenommenem Ton, mitten auf der Straße. Daß er noch immer leichenblaß aussehe. Da er sich aber über sein«Komisch»-Sein nicht näher erklären konnte, ward das rasch abgetan. Zu oft schon hatte er über Zustände geklagt, und es war am Ende nichts gewesen.«Du mußt dich schonen», war dann stets gesagt worden,«und immer viel trinken, zwei Liter pro Tag.»In seinem Alter müsse der Mensch viel trinken. Ob ihm das Horn erschienen sei. Nein?«Na siehst du.»
     
    Sie wolle nach Travemünde fahren, sagte sie, für ein paar Tage, auch mal Urlaub machen, und da könnten sie doch einfach mal«Sendepause»verabreden. Die Überschwemmung im Keller habe inzwischen beseitigt werden können, die Nachbarin habe dabei geholfen … Frage sich nur, ob es nicht nachfließt.
    «Sicher fließt es nach», sagte Alexander,«das ist wie ein undichtes Dach, wenn es einmal durchregnet, dann regnet es immer wieder durch.»
     
    Alexander wollte ihr noch sagen, daß er jetzt öfter mal daran denkt, wie sie damals über den Deich geradelt wären, daß er das nicht vergessen kann und daß er oft an sie denkt, aber das ging irgendwie nicht. Per Telefon war es ihnen noch nie gelungen, einander nahe zu sein. Außerdem war längst eingehängt.
    Der geblümte Kulturbeutel, den sie ihm gekauft hatte, aus gestepptem, abwaschbarem Stoff, der würde«nicht mehr gehen», das sah er jetzt, die lederne SAS-Tasche machte mehr her. Er packte also um und warf das Blumending in den Papierkorb.
     
    Die Lesung an der Columbia-Universität war für um sechs Uhr vorgesehen.
    Ein Assistent der Universität, ein Mensch aus Wuppertal, ein Achtundsechziger, wie er von sich sagte, ein alter Kämpfer also, den man dazu verdonnert hatte, ihn zu empfangen, führte ihn durch Bibliothekssäle, in denen

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