Letzte Gruesse
Studenten saßen: In hundert Jahren werden sie immer noch hier sitzen, dachte Alexander, und dann lesen sie vielleicht was von mir. Würde er es in den europäischen Kanon schaffen? - Mit Papierkugeln bewarfen sich die jungen Leute nicht, die schwitzten eher Blut und Wasser.
Der Assistent war freundlich, mit offenem Jackett, etwas nonchalant. Er wies auf die Bücherwände: So ist das nun mal: Bücher müssen sein. Schwachsinnig zu nennen war es, daß die Menschen immer und immer noch Bücher schrieben, daß es den Menschen nicht aufgeht, wie unsinnig es ist!
In der Hand hatte er ein Literaturheft, in dem Sowtschicks Lebensdaten standen. Er hatte das Heft zusammengerollt. Nach der Lesung würde er es gewiß wegwerfen.
«Wie geht’s in Hamburg?»fragte er.
«Immer die gleiche Leier», sagte Sowtschick.
Eben noch mal schnell«Klostermanns Backstuben»aufsuchen, dachte Sowtschick. Eine solche Vorsorge war in seinem Alter angeraten, besonders nach dem, was er in den letzten Tagen durchgemacht hatte.
Als Alexander es hinter sich hatte, wollte er hinaustreten, um sich die Hände abzuspülen und noch einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel zu werfen. Doch die Tür klemmte! Nichts zu machen, sie ließ sich nicht öffnen! Während im Saal das Publikum bereits ungeduldig wurde, saß Sowtschick gefangen in einer Zelle, in der man sich nicht einmal hätte schlafen legen können. Er rüttelte an der Tür, warf sich gar gegen sie. Sollte er denn SOS klopfen? Niemand würde ihn hören … Vielleicht suchte man ihn bereits, lief die Gänge hinauf und hinunter: Wo ist der Dichter? Vielleicht liegt er im Keller, mit Klingeldraht erdrosselt?
Der Dichter steckte im WC, das war die Wahrheit, und notgedrungen schickte er sich an hinüberzuklettern über die Bretterwand. Er trat auf das Becken und stemmte sich empor, Beine rüber, und dann hinunterplumpsen.
«Das fehlte noch», rief er laut,«daß sie mich hier einsperren! »
Im Hinaufschreiten der Treppe gewann Sowtschick seine Würde zurück, ja er lächelte.«Das fehlte noch!»rief er.«So was können sie mit mir nicht machen!»
Diese Affäre würde Marianne zu berichten sein, und sie würde lachen wie in alten Zeiten.
Ein großer Saal in Gold, mit rotem Samt und Spiegeln überall. Die Garderobenfrau, die Alexander den Mantel abnahm, war eine alte Jüdin aus Hamburg und freundlich zu ihm. Fehlte nicht viel, und sie hätte«min Jung»zu ihm gesagt.
Er wurde durch die Kulissen auf die Bühne geleitet. Leider saßen nur dreißig Leute im Saal, in dem es sonst auch Sinfoniekonzerte zu hören gab. Hing edler Klang noch in der Luft?
Der geringe Besuch wurde darauf zurückgeführt, daß im deutsch-demokratischen Kulturhaus gegenüber - zu dem man offiziell natürlich keinen Kontakt unterhielt, und zwar weil sie es waren, die jeglichen Kontakt ablehnten - bei den Brüdern und Schwestern also, wie man es auch ausdrücken könnte,«zeitgleich»eine Diskussion über die Verbrechen der Nazis abgehalten wurde. Unter Zuhilfenahme von Brecht-Songs und Sprechchören plus Trommel wurde den Amerikanern verdeutlicht, was für ein Verbrechervolk die Deutschen sind. So etwas interessiere die Menschen eben mehr, als einem Schriftsteller zu lauschen, der Nabelschau betrieb und sonst nichts, wurde gesagt, und weil es mit einer Zukunft zu tun habe, die in der Ferne leuchtet.
Der Assistent trat vor und erklärte, man habe ihn gebeten, ein paar Worte zu sagen, zur Einführung des Gastes: Geboren dann und dann, reaktionäres Elternhaus, Hitlerjugend, Soldat und so weiter und so weiter. Er meinte, Sowtschick gehöre, soweit ihm bekannt, nicht gerade zur Avantgarde, mehr zu den Vollstrekkern einer älteren Zeit, einer von diesen rückwärts gewandten Autoren, die es in jeder Epoche auch geben müsse.
Allerdings seien seine Bücher streckenweise vergnüglich zu lesen, das müsse er zugeben.
«Sie können anfangen», sagte er zu Alexander, und das tat der dann auch.«Dir werd ich’s heimzahlen, du Widerling, irgendwann einmal», dachte er, aber er lächelte freundlich. Einen Tisch hatte er vor sich, auch ein Glas Wasser fehlte nicht - wie aus dem Bühnenbild des«Geizigen»von Molière entnommen -, aber ein Mikrophon vermißte er! Er mußte also jedes Wort einzeln im Munde formen und durch die tütenartig vorgestülpten Lippen hinausschleudern. Kein Mikrophon, dafür eine Klimaanlage, die sich mächtig ins Zeug legte. Hoffentlich sitze ich nicht auf der Versenkung, dachte
Weitere Kostenlose Bücher