Letzte Gruesse
Alexander, und die lassen dich womöglich irrtümlich verschwinden.
Man hörte ihm zu, wie er da auf der Bühne saß und das aus seinen Büchern vorlas, was er für wirkungsvoll hielt. Die deutsche Kolonie war gekommen, Touristen, Emigranten und ein Kapitän. Um Amerikaner zu locken, hätte es vielleicht eines extravaganteren Auftretens bedurft, eines violetten Anzugs und silberner Schuhe oder zumindest einiger Trommeln und eines Sprechchors.
Man hörte ihm zu, wenn auch mit Hand hinterm Ohr: Das war also Sowtschick. Einerseits hätte man ihn sich jünger vorgestellt, andererseits älter.
In der ersten Reihe saß die Garderobenfrau aus Hamburg, die nickte ihm zu. Die hatte sich ihr s-t bewahrt durch all die Jahre.
Nach einer Viertelstunde verließ jemand den Saal, laut knallte die Tür. Das war vielleicht einer, der sich im Haus geirrt hatte, der lieber der Trommel lauschen wollte im deutsch-demokratischen Kulturhaus gegenüber.
Sowtschick hielt Kurs, so gut es ging, versuchte mal so und mal so die Menschen für sich zu gewinnen. Er machte auf«launig»und auf«einsam», und damit zog er mal die linke und mal die rechte Hälfte des Publikums auf seine Seite.
«In Amerika sind die Menschen höflich», war gesagt worden, und so gab es auch hier freundlichen Applaus, obwohl eine ältere Dame ziemlich sofort an ihn herantrat und sagte:«Warum hatten Sie denn kein Mikrophon? Ich habe kein Wort verstanden …»
Beim anschließenden Herumstehen redete ihn ein aus Australien kommender Germanist an, der mal einen Essay über ihn geschrieben hatte. Der kannte sich in Sowtschicks Büchern besser aus als Alexander selbst. Aber der wurde hinweggedrängt von einem Geschäftsmann aus Ulm. Er habe ihn zu Hause immer schon mal hören wollen, habe immer gewartet, wann kommt der Sowtschick mal nach Ulm? Sei nur eben für zwei Tage in New York, habe grade nichts Besonderes vorgehabt, und nun hier. Ob er noch mehr so spaßige Sachen schreiben werde? Über seine Bücher habe er sich schon öfter totgelacht. - Eine Postkarte mit dem Empire State Building mußte Sowtschick für dessen Frau signieren, an seinen Büchern mangelte es, man hatte sie in New York nicht auftreiben können,«… oder wollen !», wie Sowtschick es bei sich formulierte.
Und der Verlag hatte wieder einmal versagt.«Sowtschick ist ein Selbstläufer», hatten die gedacht. Ich werde es ihnen schon zeigen, dachte Alexander, er wußte aber nicht, wie .
Auch ein Mann mit Glasauge drängte sich an ihn, der schneidende, wirre Dinge von sich gab und einen eisernen Händedruck hatte. Sowtschick solle so weitermachen, nur diese eine Bitte habe er. Er wurde von der Hamburger Jüdin abgedrängt, die Alexander an sich zog und ihm Küsse auf beide Wangen gab. Ob sie aus Eppendorf stammte? Wer konnte das wissen. Nadel und Faden holte sie herbei und zog einen Riß am Reitschlitz seines Sakkos zusammen, den hatte er sich bei seinem WC-Abenteuer geholt.
Jennifer war nicht zu sehen, auch im Zuschauerraum hatte er sie nicht entdecken können, wie sehr er auch über das Buch hinweg nach ihr Ausschau hielt. Er hatte die Texte seines Vortrags sogar abgestimmt auf sie, das Besinnliche ausgeklammert und statt dessen dem Grotesken Raum gegeben. Schon weil sich das besser deklamieren ließ. Schätzing - der hatte wohl was anderes vor. Vielleicht war er ins deutsch-demokratische Kulturhaus gegangen und hatte den Trommeln gelauscht und den Fäuste ballenden Sprechchören.
Danach ging es unter Bedeckung über den Hof - hier draußen lungerte manchmal Gesindel herum, das keineswegs zur Universität gehörte - und drüben ins Gästehaus hinein, wo ein Bankett angerichtet war zu Ehren Alexanders, nicht gerade mit brennenden Kerzen, aber immerhin.
Die Gespräche der Professoren und ihrer Gattinnen, die allesamt sich wunderten, daß sie noch nie was von Sowtschick gehört hatten, wurden um Alexander herumgeführt und über ihn hinweg. Der Assistent aus Wuppertal hatte sich bereits aus dem Staub gemacht. Der wollte wohl auch noch schnell ins deutsch-demokratische Kulturhaus und an der brisanten Diskussion über Naziverbrechen teilnehmen.
Es gab ein reichhaltiges Menü, Reis und Hammelkoteletts, Salate jeder Farbe. Aber Sowtschick aß nur wenig, er hatte keine Lust, seinen gereinigten Magen neuerlichen Belastungsproben auszusetzen.
Neben ihm saß eine Dame mittleren Alters, eine Meisterin im Ausfragen. Mit wenigen Worten setzte sie den Kreuzschnitt an, Herz, Milz und
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