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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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er dennoch zufrieden ins Bad zurück, zog sich aus, drehte den Wasserstrahl ab und ließ sich von gewaltigen Schauern durchfluten, als er nach und nach ins heiße Wasser einsank.
    Wie viele Jahre war es her, dass er zum letzten Mal ein Bad genommen hatte? Ein heißes Bad? Er erinnerte sich nicht, während er entspannt im Wasser und in duftendem Schaum lag und aus dem Fenster sah, hinter dem immer wieder Wolken, winkende Zweige und Vögel auftauchten, als wäre Frieden auf dieser Welt, ein großer und stiller Frieden, meinte Kurt Schmelz, der die Füße durch die Wasseroberfläche stieß, sie aus dem Schaum auftauchen ließ und verstört seinen linken Fuß betrachtete. Ihm fehlten doch tatsächlich zwei Zehen! Unfassbar!
    Tatsächlich!
    Wann hatte er denn seine Zehen verloren? Und vor allem wo? Wo war das gewesen?
    Verdammt, wo lagen die Zehen?
    Kurt Schmelz tauchte den Kopf unter Wasser und hörte es blubbern, als er sich völlig entspannte und ihm ein Furz entglitt.
    Vom siebenundvierzigjährigen Obergruppenführer war Schmelz sofort begeistert und eingenommen, als er am nächsten Morgen nach vierzehnstündigem Schlaf geduscht, rasiert und gekämmt in das gewaltige Arbeitszimmer des Sprosses eines der ältesten deutschen Adelsgeschlechter und Neffe der holländischen Königin kam. Sofort begriff Schmelz, in ein wahres Zentrum der Macht vorgedrungen zu sein. Der Erbprinz saß in einem mit Leder bezogenen, gesteppten Ohrensessel und winkte ihn zu sich heran. Wohlwollend betrachtete der ältere Mann den fast vierzehn Jahre jüngeren, während er hin und wieder an einer dicken Zigarre zog, und auch Kurt Schmelz fühlte sich sofort wohl. Er glaubte, genau unter den Schutz gekommen zu sein, den er brauche. Jetzt nur ja nicht anbiedern! Wie anders und herrschaftlich, wahrlich herrschaftlich, war es hier, und wie spröde und stümperhaft war dagegen das Arbeitszimmer des Reichsführers! Schmelz räusperte sich und kam auf einen Wink des Prinzen hin noch näher.
    „Sie entschuldigen, meine Augen sind nicht mehr die besten“, sagte Waldeck Pymont: „Nein, nein, stehen Sie bequem, setzen Sie sich! Ich bin ja so froh, Sie endlich hier zu haben! Auf einen wie Sie habe ich gewartet, und nun sind Sie endlich da! Endlich! Kommen Sie, nehmen Sie sich einen Kaffee. Meine Ordonanz hat ihn gerade gebracht. Nehmen Sie sich selbst, mein Rücken, Sie verstehen, mein Rücken. So ein Glück, Sie endlich hier zu haben!“
    „Danke, Obergruppenführer, ich kann nur sagen, danke!“
    „Na, warten Sie erst einmal ab! Wer sich zu früh bedankt, der bereut es sein ganzes Leben! Niemals zu früh danken, Schmelz, verstanden? Wer zu früh dankt, dankt zu schnell ab. Alter Adelswitz.“
    „Jawohl, Obergruppenführer!“
    „Ich habe ja die ganze Sache ins Rollen gebracht. Mein alter Freund Himmler wollte erst nicht, aber das spielt keine Rolle! – Ich bin es, Doktor Schmelz, der Sie von der Front zurückgeholt hat. Das war eine Heidenarbeit, kann ich Ihnen sagen, aber was Sie da durchgemacht haben, kann es mir schon gut vorstellen, war ja selber im ersten Krieg an der Front! Damals haben die Briten gerade den Panzer erfunden, ja, ja, traurige Sache, das mit der Kapitulation, aber unser letzter Kaiser war halt nicht der beste Mann für diese Sache, na, egal, das wird uns ja diesmal erspart bleiben, diese Schmach, oder? Der Russe hat doch nicht wirklich eine Chance gegen unsere Panzer. Man hört ja Schreckensnachrichten von diesem T vierunddreißig, aber das ist doch bloß Feindpropaganda, was? Jetzt, wo wir die Tiger endlich an der Front und in Serie haben. – Ach, übrigens, Doktor Schmelz, Ihre Dissertation über Propaganda und ihre Verhütung hat mir sehr gefallen! Ein paar Einwände hätte ich zwar schon gemacht, zum Beispiel, wie Sie den Franzmann so über den Klee loben, aber alles in allem, lassen Sie uns zur Sache kommen, genug der Konversation, Obersturmführer Doktor Schmelz.“
    Schmelz nickte und fragte sofort, was seine Aufgabe sei und wohin er sich zu stellen habe. Er hatte bemerkt, wie sehr es der Erbprinz mochte, als alter Soldat behandelt zu werden, er hatte es sofort gespürt.
    „Donnerwetter, das mag ich“, sagte Waldeck Pymont auch prompt: „Guter Preuße! Vom alten Schrot und Korn. Was ist meine Aufgabe, wo soll ich stehen, das sind genau die Sätze, die ich von Ihnen erwartet habe, Kurt, darf ich Kurt sagen?“
    „Jawohl!“
    „Sie sind ein fähiger Kopf. Ihre Dissertation zeigt eine große und reine Vision von der

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