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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Ihrer Hilfe!‘ Denn das hatte er ja wirklich gelernt! Allein war allein. Wenn er schon keinen Vater hatte, dann brauchte er wenigstens Mentoren, die ihm zur Seite standen. Das hatte er ja nun wirklich gelernt. Ohne einflussreiche Mentoren war jeder Versuch einer Karriere zum Scheitern vorverurteilt! Jede! Doch wie fand man sie?
    Sein Blick fiel auf einen kleinen Abreißkalender an der gegenüberliegenden Wand, und er brauchte ein paar Minuten, um festzustellen, dass er in zwei Tagen Geburtstag hatte. Er wurde vierunddreißig Jahre alt! Im vierunddreißigsten Jahr, war das nicht ein wenig zu spät, um auf Mentorensuche zu gehen?
    Flach legte er die Hände auf den alten, schmucklosen Tisch und sah sich zufrieden um. In der Ecke hinter der Eingangstür stand eine zusammengerollte Matratze, aber von den Akten, die in seinem Zimmer laut dem Wachhabenden liegen sollten, sah er nichts. Was sich wohl hinter den Türen befand? Kurt Schmelz stand auf, öffnete die erste, und sofort wich er einen Schritt zurück.
    Ein lichtdurchfluteter Raum tat sich vor ihm auf. Mindestens neunzig Quadratmeter. Hinter einer breiten Fensterfront sah er die Brüstung eines Balkons, auf deren Ecken Sandsteinleuchter standen. Der freie Blick auf ein grünes Tal, hinter dem sich eine Bergkette erstreckte. Wie geblendet fühlte sich der Jurist, der vorgestern noch ein einfacher Frontkämpfer gewesen war.
    Die Wände waren mit gelber Samttapete ohne Motiv ausgekleidet, der Stuck verdeckte fast die gesamte Decke. Er war bunt bemalt und zeigte Szenen von Diana, die auf der Jagd war, die einen Hirsch stellte und die auch selbst ein Hirsch war.
    Auf dem Boden lag ein bunter und dicker Perserteppich, und bevor er ihn betrat, zog Schmelz die Stiefel aus, um sie in der Kammer zu lassen, die doch nur der Flur gewesen war! Und er hatte schon den Flur für Luxus gehalten!
    Er betrat die Fasern und spürte, wie die Füße leicht einsackten. Zwei Ohrensessel standen neben der Balkontür vor den Fenstern, die bis zum Boden reichten. Zwischen ihnen befand sich ein mit Schnitzereien verzierter und mit Gold bemalter Tisch, auf dessen Platte ein Schachbrett eingraviert worden war. Die eine Hälfte der Figuren schien aus Gold und die andere Hälfte aus Silber zu sein.
    Obersturmführer Schmelz schluckte und zwang sich, nicht hysterisch zu werden. Atmen! Atmen! Ruhig atmen! Er fragte sich, ob er im falschen Zimmer wäre, doch neben dem Bett mit den hohen Matratzen und der edel bestickten Tagesdecke sah er den Nachtschrank, auf dem ein Fernsprechapparat stand und auf dem die Akten lagen, von denen der Wachhabende gesprochen hatte.
    Nun wollte er auch das andere Zimmer sehen! Was verbarg sich hinter der anderen Tür? Geradewegs lief er über den schweren Teppich, öffnete die zweite Tür vom Flur aus und stand in einem hellen und gekachelten Badezimmer.
    Über Eck befanden sich große Fenster, und unter ihnen stand eine breite und lange Badewanne. Eine Badewanne! Mit ein paar Schritten war er am Badeofen, betastete ihn und grinste übers ganze Gesicht. Schon hatte er den Korken im Abfluss der Wanne, die Hähne des heißen und kalten Wassers aufgedreht, ein paar Holzscheite im Ofenloch nachgelegt und einen der fünf Badezusätze ausgewählt, die alle aus dem Sudan stammten, als er ins Wasser starrte, in den Schaum, der immer mehr wurde, und plötzlich konnte er es, auf einmal fühlte er sich stark genug, zum Fernsprecher zu laufen, während die Wanne sich füllte, die Frankfurter Nummer zu wählen, um betont ruhig ins gegenüberliegende Ohr sagen zu können: „Mutter, ich lebe. Ich lebe, Mutter!“
    Sein Herzschlag war langsam, fast fürchtete er, er könnte ganz aufhören, als er endlich die Stimme der Mutter hörte, die antwortete: „Kurt! Kurt, hast du genug zu essen?“
    „Jetzt ja, Mutter, ich bin in Sicherheit. Heute bin ich in Kassel, übermorgen bin ich in Weimar. Ich melde mich von da aus noch mal in Ruhe, aus Weimar im Thüringischen. Hast du meine Briefe erhalten?“
    „Ja, mein Sohn. Sei tapfer!“
    „Natürlich, Mutter, ich muss jetzt nur auflegen, ich habe gerade keine Zeit. – Freust du dich nicht, mich zu hören?“
    „Doch, natürlich, ich bin halt deine Mutter.“
    „Dann sag es doch!“
    „Ich sag es ja. Ich freue mich.“
    „Schön, dann bis übermorgen.“
    „Bis übermorgen, mein Sohn.“
    Kurt Schmelz legte zuerst auf, froh, es hinter sich gebracht zu haben. Auch wenn er ihr mal wieder kein freundliches Wort hatte abringen können, ging

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