Letzte Haut - Roman
bisher eines gefehlt hat, dann ein gewisser Schutz, ein Rückhalt seitens der Politik. Und wenn Sie nun, Obergruppenführer, zu mir stehen, dann hält mich nichts auf, die Wahrheit herauszufinden und die Unterschlagungen zu ermitteln. Schon als ich gegen die Brigade Dirlewanger ermittelte, habe ich eine effiziente Technik entwickelt, die ich nun in die Sache einbringen kann, die unsere ist!“
„Genauso machen wir das! Sie mit Ihrer Technik und mit Ihren Fähigkeiten, Kurt, Sie sind einer der besten Ihres Faches, und ich mit meiner Stellung, das wird funktionieren.“
Jetzt oder nie, dachte Schmelz, rückte auf die vordere Holzleiste des Sessels vor und sah den Erbprinzen direkt und fest an, während er die Forderung aussprach und sein Herz ihm bis in die Ohren schlug: „Ich fürchte nur, ich muss darauf bestehen, dass Sie mir freie Hand lassen, Obergruppenführer. Dass Sie meine Ermittlungen schützen, mir aber auch freie Hand lassen. Es wäre mir eine Ehre und eine unermessliche Freude, wenn Sie mir das in die Hand versprechen könnten.“
Oh Gott, was hatte er getan? Hatte er alles verdorben, weil er wieder einmal zu viel gewollt hatte? Ihm wurde ein wenig schwindlig, doch dann sah er den Prinzen lächeln und hörte ihn sagen: „Sie sind ein Fuchs. Ich mag Ihre Art. Auch wenn Sie kein Recht haben, irgendetwas von mir zu fordern, so gebe ich Ihnen doch mein Ehrenwort, dass Sie freie Hand haben und nur Ihrem Gewissen verantwortlich sind, solange Sie mir Fakten liefern, gute, harte Fakten.“
Tatsächlich, der Prinz hielt ihm die Hand hin, und Obersturmführer Doktor Schmelz, auf dem Höhepunkt dieses für ihn so wichtigen Tages, schlug sofort ein.
Er sah den Prinzen, der ihm gegenüber saß und genüsslich an der Zigarre zog, jetzt genauer an, und am liebsten wäre er diesem Mann mit dem hageren Gesicht um den Hals gefallen.
Der Prinz war fast fünfzig Jahre alt, sein Körperbau imposant, fand Schmelz, der zwar die fahrigen Hände bemerkte, den Blick aber lieber auf das exakt gescheitelte schwarze Haar und den rechteckig geschnittenen Schnurrbart richtete, doch am einprägsamsten fand Doktor Schmelz die Strenge im Gesicht, in der er eine Fähigkeit zum Leiden zu entdecken vermeinte.
Er fühlte sich geborgen, jawohl! Für diesen Mann, der ihn aus dem Dreck geholt hatte, wollte er alles tun. Er wollte, dass dieser Mann Ende vierzig einmal sagte, er sei stolz auf ihn, stolz auf den kleinen, treuen Kurt aus dem hessischen Frankfurt.
Dankbarkeit sei das Fundament jeder ehrlichen Treue, er hatte es ja schon immer gewusst, aber jetzt begriff er es mit einem Schlag vollends.
Nichts ist vergeblich und niemand vergessen, dachte er, ehe er über sich erschrak, atmete er doch unbeherrscht laut auf.
„Seien Sie unbesorgt“, sagte der lächelnde Prinz: „Sie sind jung, könnten mein Sohn sein, wer weiß! Sie haben die Kraft, ich habe die Verbindungen, lieber Kurt, zeigen wir es denen!“
„Jawohl!“, schrie Schmelz, sprang auf, weil sich Waldeck Pymont erhoben hatte und ihm noch einmal die Hand hinhielt. Schmelz schlug erneut ein.
„Wir haben uns verstanden?“, fragte der Prinz, und der Richter nickte deutlich.
„So, heute ist der siebte Juni dreiundvierzig. Sie fahren heute noch nach Buchenwald und sehen sich das alles mal an. Wir bleiben in telefonischem Kontakt. Zweimal die Woche, bei dringenden Sachen bin ich natürlich Tag und Nacht für Sie erreichbar, Kurt, ich gebe Ihnen meine Privatnummer! Finden Sie was gegen Koch, fangen Sie mit dem an, den habe ich schon mal einsperren aber wieder laufen lassen müssen, weil die Beweise nicht ausreichten und weil Pohl, dieser arrogante Prolet, mir dazwischengefunkt hat. – Da gibt es so eine Sache Krämer, mysteriöser Fall. Ich kannte Krämer, als er noch im Reichstag saß. Falsche Partei! SPD. Konnte ihn trotzdem gut leiden, er sollte in diesem KL seine Ruhe haben, auch wenn er eingesperrt werden musste. Doktor Krämer, plötzlich tot! Angeblich auf der Flucht erschossen, aber ich hatte ihm versichert, wenn er sich ruhig verhält, kommt er eines Tages frei. Prüfen Sie das, und nun Abmarsch! Und melden Sie mir Erfolge, ich bin nur an Erfolgen interessiert! Aber da ähneln wir uns ja, was, Kurt?“, sagte der Prinz, während er den Richter leicht aber nachdrücklich bis zur Tür des Arbeitszimmers geschoben hatte, wo er ihn nun verabschiedete.
Er traut mir wirklich alles zu, dachte Schmelz, ihn zu enttäuschen wäre schlimmer als in Russland zu
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