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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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wahrnahm. Sofort begriff er, dieser Gestank könnte ein Beweis sein! Er prägte sich den Geruch so gut er konnte ein, beschrieb ihn mit Stichworten auf einem Stück Papier und schloss die Fenster.
    Mit dem Rücken zur Fensterfront sah er sich nun in aller Ruhe im Zimmer um. Zwei Betten, an denen noch die offenen Fesseln herunterhingen, die aber als Beweis nichts taugten. Auf dem Boden fand er Erbrochenes, das konnte doch schon eher etwas sein! Weiter, Kurt Schmelz registrierte jeden noch so kleinen Gegenstand. Mull, Binden, auf den Nachttischen leere Ampullen, die Kleider der Toten auf zwei Stühlen, die Stiefel darunter, verdammt, wo war das entscheidende Detail, wo war der verräterische Gegenstand, Schmelz war sich sicher, es müsse ihn geben, so kurz nach einer Tat müsse es ihn geben, und er durchsuchte die Kleider der toten Häftlinge. Er fand eine Bibel auf dem einen Haufen, das Abbild des Kommunistenführers Thälmann, der auch hier eingesperrt war, auf dem anderen, aber das war alles nichts, das war alles überhaupt nichts, verdammt, wo, wo war das Teil, an dem er Tatsachen schaffen konnte, verdammt, wo nur? Moment! Moment, was war das?
    Der Ermittlungsrichter drehte sich um, ging die wenigen Meter zu den Betten und blieb wie angewurzelt stehen. Erst lächelte er vorsichtig, dann grinste er breit, und schließlich stieß er einen lachenden Schrei aus, mit dem plötzlich all die Anspannung von ihm abfiel. Da lag es ja! Da lag das Detail doch! An diesem Detail wollte er den Fall aufhängen! Jawohl, an diesem Detail werde Standartenführer Karl Koch baumeln, meinte Schmelz, ging zu den Nachttischen, die nebeneinander standen, und hob vorsichtig die beiden Ampullen auf. Sie waren leer. Die Flüssigkeit musste in die Toten gespritzt worden sein!
    Der Richter sah die Ampullen zufrieden an, denn hatte auf den Totenscheinen nicht gestanden, die beiden seien an plötzlichem Herzversagen verstorben? Und warum dann noch Spritzen? Wieso Spritzen, wenn sie an einer natürlichen Todesursache verstorben waren, angeblich verstorben waren? Das war unlogisch, das konnte kein Mediziner erklären! Niemand konnte das erklären! Wieso ein Behandelter nach einer Injektion an einer natürlichen Todesursache verstarb? Und das gleich zweimal! Niemand, war der ehrgeizige Ermittlungsrichter sich sicher, der schon so viele Merkwürdigkeiten im Leben gesehen hatte, könne da eine vernünftige Aussage liefern.
    „Verdammt, lassen Sie mich vorbei!“, hörte er die Stimme von Liebig, der im Flur mit dem stiernackigen Oberscharführer zu kämpfen schien, der keuchend antwortete: „Niemals!“
    Mit einigen Sätzen war der lange Richter an der Tür und brüllte den verdutzten Oberscharführer an, er werde eingesperrt, wenn er nicht sofort Ruhe gebe, er werde fertig gemacht, wenn er nicht sofort kusche, er wandere erst in den Bau und dann an die Ostfront, wenn er nicht sofort den Weg freigebe, woraufhin der dicke Kahlköpfige zur Seite ging und vergaß, den Mund zu schließen.
    „Kommen Sie, Liebig! Endlich sind Sie da“, sagte Schmelz: „Wo haben Sie solange gesteckt? Egal! Hat Tarnat Ihnen nicht Nachricht gegeben? Egal! So, hier, ich muss ins Krematorium! Sie bleiben hier! Und Sie bürgen mir mit Ihrem Leben, dass hier keiner etwas anfasst! Sie sichern: Diese beiden Ampullen da! Und das Erbrochene! Tüten Sie es ein oder machen Sie sonst was, aber lassen Sie sich nichts davon und unter keinen Umständen wegnehmen. Ach, und prägen Sie sich den Geruch ein, schreiben Sie ihn sich auf“, rief der Richter, der schon auf dem Flur war und aus dem Krankenbau lief.
    Er brauchte nur zehn Minuten bis zum Krematorium, er stürmte an den riesigen Öfen vorbei und stieß die Tür zum Innenhof auf, der fast überquoll vor Leichenbergen. Dürre, ausgemergelte Tote, keiner von ihnen war wohlgenährt, wohlgenährt und frisch. Die meisten zeigten starke Verwesungserscheinungen, und der Richter, er hatte sich inzwischen durch die Leichenberge bis zum Holzzaun gewühlt, kam wieder zur Tür des Krematoriums zurück und brüllte den Wachhabenden an, dass dieser vor Schreck erstarrte und Minuten lang nicht antworten konnte.
    Geschockt brabbelte er, aber zu verstehen war der verantwortliche Kapo nicht.
    „Verdammt, Sie feige Sau, Sie! Ich will wissen, wo die beiden Leichen sind, die heute Morgen vom Krankenbau gekommen sind, antworte, oder ich leg dich eigenhändig um! Ich will Tatsachen, Tatsachen und kein Weibergequatsche, kapiert!“
    Und schließlich

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