Letzte Haut - Roman
deutete der Wachhabende auf den linken Ofen, dessen Fließband sich gerade in Bewegung setzte. Die ersten Leichen fielen von oben in den Ofen, und dort machte der Richter die beiden Leichen auch aus. Sie waren sehnig und muskulös, und schon war er am Ofen, zerrte die Heizer vom Feuerloch weg, dass ihnen die Schippen aus den Händen glitten und die Kohle sich auf dem Boden verstreute.
Schmelz war auf der Leiter, er kletterte sie hoch, obwohl die Eisenstangen so heiß waren, dass seine Haut an ihnen kleben blieb, kam bis nach ganz oben, war bereits über dem Fließband, dessen Knopf zum Ausschalten er nicht so schnell fand, und gerade fiel die eine der beiden Leichen in den riesigen, rotgelben, lodernden Feuerschlund, jedoch hielt der Ermittlungsrichter Doktor Kurt Schmelz die andere Leiche an einem der Füße fest, so fest er konnte.
Sie war schwer, der Mann war gut zwei Meter groß gewesen, er wog eine Menge, jedoch war Schmelz kein Schwächling. Er hielt den Fuß fest, obwohl die nachrückenden Leichen auf dem Fließband immer mehr gegen ihn arbeiteten. Schmelz hielt den ganzen Betrieb auf, die ersten dürren Leichen fielen bereits vom Band auf den Boden, aber der Richter schaffte es nicht, die schwere Leiche vom rotierenden Gummi zu bekommen. Er zerrte mit beiden Händen, doch er wurde selbst mitgezogen. Immer näher kam er dem Feuerloch, aus dem Hitze und Qualm aufstiegen, und schon war er mit dem Kopf über dem Loch, und ein letztes Mal riss er an der Leiche, am Obduktionsobjekt, riss mit aller Kraft am Beweis, aber er schaffte es nicht, sie noch länger zu halten.
Er musste sie loslassen, er musste zusehen, wie sie in den Ofen fiel. Ermittlungsrichter Schmelz musste sich geschlagen geben.
„So ein Dreck!“, fluchte er und schlug mit der Faust so stark auf das bewegliche Gummi, dass es vibrierte. Zwei weitere Leichen fielen vom Fließband, doch Schmelz interessierte das nicht. Ihm waren diese Toten so etwas von egal, er schenkte ihnen nicht einmal einen Blick, er stieg langsam von der Leiter und landete, während er von der vorletzten Stufe sprang, auf einem Brustkorb, der sofort auseinandersprang.
„Scheiße!“, fluchte er unterdrückt.
Die Heizer sahen ihn entweder mit großen Augen oder amüsiert an. Sie sagten nichts und machten weiter ihre Arbeit.
„Warum habt ihr das verdammte Band nicht angehalten?“, brüllte Schmelz: „Ich bin doch auf eurer Seite, ihr Narren! Aber was will man von Häftlingen erwarten, die ihre eigenen Leute in die Öfen transportieren. Kapos! Abschaum!“
Kurt Schmelz, an Niederlagen gewöhnt und wissend, je weniger man sie sich klar mache, um so weniger fallen sie auch ins Gewicht, stieß den wachhabenden Kapo des Krematoriums weg, befand sich Sekunden später auf dem Appellplatz und meinte, diese Schlacht sei noch lange nicht verloren. Er könne noch etwas tun! Er müsse noch etwas tun! Und wieder setzte er sich in Bewegung, und wieder einmal spürte er einen jener Augenblicke gekommen, die entscheidend für sein Leben waren. Während er zurück zum Krankenbau rannte, fühlte er, wie die Hände ihm brannten. Er sah die Brandblasen in den Innenflächen, während er fieberhaft überlegte, wie er am sinnvollsten vorgehen solle.
Der Mann dürfe ihm nicht mit einer Ausrede durch die Lappen gehen. Er müsse ein wirkliches Verdachtsmoment formulieren können, um den Mann nervös zu machen. Dieser Typ habe schließlich als einfacher Landarbeiter in Schweden sein Geld verdient, also sei er standfest. Dieser Mann habe schließlich als Schauspieler in Hollywood gearbeitet, also sei er mit allen Wassern gewaschen. Dieser Mann habe sich schließlich ein Arztdiplom besorgen können, ohne auch nur drei Semester studiert zu haben, also habe er einen Überlebensinstinkt, stellte Schmelz fest und hatte kurz vor der Krankenbaracke den rettenden Einfall.
Er stürmte nicht ins Zimmer des Chefarztes, er sammelte Liebig auf, der die Beweise wie seinen Augapfel hütete, und ging mit ihm in den Aufenthaltsraum der Pfleger.
„Wer hatte von euch heute Morgen Dienst in der Quarantäne?“, brüllte Schmelz, unfähig, sich zusammenzureißen.
Die Pfleger, die gerade eine Pause eingelegt hatten, schreckten zusammen, und unwillkürlich sahen sie alle auf einen alten Mann mit Glatze und Brille, der vor einem Becher mit heißem Tee saß.
„Sie also!“
Der Alte nickte.
„Es kommt jetzt auf Sie an!“
Der Alte, der hier ein Kapo geworden war, nickte wieder.
„Sagen Sie die
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