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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Er sah sich voll von Angst und Schmerz nach seinen Freunden um, die aber alle nach unten blickten.
    Hinknien, flüsterte Hackmann, und seine Stimme zitterte vor Geilheit.
    Wieder gehorchte Dregen, und wieder sah er sich voll von Angst und Schmerz nach seinen Freunden um, die aber alle nach unten blickten.
    Kriechen, flüsterte Hackmann, und Dregen gehorchte schwerfällig, während er sich nach seinen Freunden umschaute, sie mit Blicken anflehte, doch nirgends ein Blick, auf den der seinigen traf.
    Hackmann dirigierte ihn mit Gertenhieben an Ohren, Hals und Hintern zur Holzkiste, die vor den Kochs stand. Hackmanns Augen sprühten gefährlich, ein Funkeln, dessen man sich entziehen musste, wenn einem das Leben lieb war. Geil warf er funkelnde Blicke um sich und grinste die Kochs an. Während Karl Koch unbeweglich stehen blieb, schlich sich Ilse Koch einen Schritt hinter ihren Mann, warf dem Hackmann unverhohlen lüsterne Blicke zu und rieb sich vor den Augen aller an der Scham und an den Brüsten.
    Sie sah Diamantenjonny an, öffnete den Mund und drückte die Zunge gegen die Innenseite der Wange, während Hackmann unverschämt grinste.
    Er schlug Dregen auf den Hintern und schrie, der Junge solle die Kiste aufmachen.
    Dragowerts Dregen liefen Tränen übers Gesicht, die in den frischen Wunden brannten.
    Na los, Junge, mach schon auf, flüsterte Hackmann dann wieder liebevoll und väterlich, was einem Schauer über den Rücken trieb.
    Dragowerts Dregen war auf dem Weg von Bratislava nach Brno gewesen. Beim Überqueren des Flusses Dyje wurde er von einem österreichischen Ärzteehepaar gefangengenommen und vorschriftsmäßig an der nächsten Gestapostelle abgegeben. Die Ärzte verzichteten auf die Zigeunerprämie, wollten sie doch anonym bleiben.
    Eine Wahrsagerin hatte dem Waisen Dregen zuvor erzählt, er finde seinen älteren Bruder am Rand der Stadt Brno, jedoch nur, breche er in der nächsten Stunde auch auf.
    Dragi hatte die Nacht abgewartet und das Waisenhaus durchs Kellerfenster verlassen. Er war über die südlichen Ausläufer der Karpaten marschiert, nordwärts, und er war sechs lange Tage unterwegs gewesen, in denen er sich von Äpfeln und Birnen ernährt hatte, die er in fremden Gärten gefunden hatte. Einmal hatte ihn ein Schäferhund tief in den rechten Oberschenkel gebissen, aber Dragi war schneller als der Hund gewesen. Dragi war schnell wie der Wind!
    Vom Weltkrieg hatte ihm die Wahrsagerin aber nichts erzählt. Sie hatte nur gemeint, sein Weg werde schwer und gefährlich sein, doch bei diesen Worten hatte Dragi an die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn gedacht und sich sogar auf den Weg gefreut!
    Jetzt kniete er vor der viel zu kleinen und viel zu schmalen Kiste und erinnerte sich an die Sommerabende im Waisenhaus, das am Rande eines Dorfes stand und einen eigenen Zugang zum See hatte. Wie oft hatte ihnen die Erzieherin von den Abenteuern der Jungen am Ufer des Mississippi vorgelesen, die einen Sklaven versteckt und ihn solange beschützt hatten, bis er von der Sklaverei frei kam. Die Scharniere der offenen Fenster knarrten und quietschten leise und rhythmisch im Wind, die Stimme der Erzieherin ahmte Aufregung nach, und Dragi waren damals Tränen in den Augen gestanden, Tränen der Rührung, jedoch jetzt waren es Tränen der Angst und des Schreckens. Er hatte Todesangst, als ihn erneut ein Hieb Hackmanns an der Hüfte traf.
    Dragi öffnete die Holzkiste.
    So ist gut, flüsterte Hackmann, dieser Sadist, und nun klettere rein, mein Junge.
    Dragowerts Dregen sah die zehn Zentimeter langen Nägel im Inneren der Bärenhütte, er sah den Stacheldraht, der zwischen den Nägeln lag, und fassungslos starrte er zu Hackmann hoch, starrte ihm eher staunend als begreifend in die Augen, ein kindliches Suchen, wo denn der Witz an der Sache versteckt sei, aber den gab es nicht. Es fanden sich nur Ernst und Geilheit in Diamantenjonnys Gesicht, der lächelnd den Kochs zurief, diesen Blick liebe er an den Zigeunern immer so sehr. Dieser naive Blick, der ihnen jedes Mal kurz vor dem Tode komme, mache sie fast zu Menschen.
    Standartenführer Koch nickte, Ilse Koche rieb sich erneut zwischen den Schenkeln, und Hackmann lachte auf, Dragowerts Dregens Augen jedoch suchten die Blicke der Freunde, die alle auf ihre Hände sahen.
    Sie hatten den Jüngsten unter ihnen oft mit Brotkrumen beschenkt, mit Gemüseschalen und mit leise erzählten Geschichten aus ihrer Heimat, und einige von ihnen hatten den Jungen in den Arm

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