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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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zurück an seinen Schreibtisch, um Liebig eindringlich in die Augen zu sehen, der langsam nickte und wiederholte, er habe die Zeugenaussagen mehrerer Insassen, in denen übereinstimmend erklärt worden sei, der Häftling Krämer habe sterben müssen, weil er dem Standartenführer Koch, damaliger Kommandant von Buchenwald, eine Syphilis habe kurieren müssen, die dieser sich in Norwegen eingefangen habe, was aber niemand habe wissen dürfen. Krämer, von Beruf Allgemeinmediziner, habe beeiden müssen, dass er schweigen werde, aber letztlich sei dem Koch das doch nicht sicher genug gewesen, so er dem Sommer den Auftrag zum Mord gegeben habe.
    „Unfassbar!“, stöhnte Kurt Schmelz: „Das ist unbegreiflich! Wenn ich das dem Erbprinzen erzähle, dann dreht der durch! Der kannte den Krämer ja noch von dessen aktiven Zeit als Politiker, und der Krämer hat dem Erbprinzen nach dem ersten Weltkrieg auch schon mal eine Syphilis kuriert, wie er mir ja selbst erzählt hat. Und jetzt kommt das Unfassbare! Waldeck Pymont war mit Krämer und dessen Verschwiegenheit vollkommen zufrieden, und als ihn Koch gefragt habe, welcher gute Mediziner seiner Meinung nach im Lager gefangen sei, da habe er dem Koch den Namen Krämer gegeben! – Und somit hat der Prinz für den Tod des Bekannten gesorgt, oh Mann, wenn ich das dem Erbprinzen erzähle, dann dreht der durch. Der zerreißt Koch in der Luft! – Soviel ist erst einmal klar“, sagte Schmelz und ging zum Erker: „Was für ein schäbiges Mordmotiv!“
    Eine Weile sah er in den Schneefall, dann wurde er von einem Trupp Häftlinge abgelenkt, der zum Steinbruch geführt wurde. Unmittelbar vor dem Fenster ließ der Scharführer den Trupp halten, weil ihnen SS Sturmbannführer Max Johann Marcus Schobert entgegenkam. Schmelz öffnete das Fenster und hörte Schobert fragen, ob die Mannschaft vollzählig sei.
    „Vollzählig, bis auf einen Mann, krank auf Koje“, antwortete der Scharführer.
    „Herbringen lassen!“
    „Aber Sturmbannführer, der Mann hat sich ein Bein gebrochen, er taugt nicht für die Arbeit im Steinbruch“, sagte der Scharführer, worauf Schobert brüllte, er solle gehorchen und kein dummes Zeug erklären.
    Der Scharführer schickte den Blockältesten Carl Herbst, und als dieser mit dem Kranken zurückkam, der sich fest und leise stöhnend an ihn klammerte, da musste Carl Herbst den schwer verletzten Mann loslassen und in die Reihe zurücktreten.
    Wie alle starrte auch Herbst auf den wankenden Rücken, und Schmelz hörte, wie Sturmbannführer Schobert sagte: „Diensthabender! Niederschlagen!“
    Der Scharführer trat einen Schritt nach vorne, versetzte dem Mann mit dem gebrochenen Bein einen Faustschlag, woraufhin sich dieser sofort fallen ließ.
    „Jetzt an die Hauswand da! Zwei Stunden! Wenn er umkippt, abknallen!“, sagte Sturmbannführer Schobert und gab eine Erklärung ab: „Ab morgen geht es hier strenger zu! – An ihre Arbeitsplätze, sonst schlagt sie tot, die Hunde, das Krematorium muss brennen! Weisung des Lagerkommandanten – Schnuffi, fass!“
    Der Schäferhund des Sturmbannführers, den dieser Gassi führte, rannte auf den Insassen Löwenstein zu, entschied sich aber im letzten Augenblick anders und sprang den Mann neben Löwenstein an, verbiss sich in dessen Unterleib und dann in dessen Kehle.
    „Schlagt sie tot!“, schrie Schobert, pfiff den Hund zurück, der eine blutverschmierte Schnauze hatte, und führte ihn weiter aus, wobei er vor sich hin sang.
    Angewidert schloss Schmelz das Fenster und drehte sich um. Er setzte sich hinter den Schreibtisch und bedeutete auch Liebig und Tarnat, sich zu setzen. Minutenlang blieb es still, ehe sich Schmelz räusperte und sagte, er habe sich entschieden.
    Tarnat sah, wie sich die Augen des Richters verengten, wie ihm leicht die Hände zitterten, als er wiederholte, er habe sich entschieden, was Tarnat aber nicht zuordnen konnte. Es wunderte ihn nur, dass Schmelz so aufgeregt und aufgewühlt war. Er ahnte nichts Gutes.
    „Ich habe mich entschieden“, sagte Schmelz noch einmal und konnte seinen beiden treuen Kollegen nicht länger in die Augen sehen. Er schichtete Papierstapel um, die sich auf dem Schreibtisch befanden, öffnete Akten, schloss sie wieder und fegte plötzlich alles Papier vom Tisch.
    „Begreifen Sie? Ich habe mich entschieden, aber Ihnen, meine Herren, überlasse ich es nicht, frei für sich zu entscheiden“, sagte Ermittlungsrichter Doktor Kurt Schmelz.
    „Um was geht es denn?“,

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