Letzte Haut - Roman
schließt durch Logik und Erfahrung alle Zufälle aus und bekommt so den Täter auf dem Silbertablett, der als einziger mit diesem Tatwerkzeug in Verbindung gebracht werden kann. – Ich stelle es Ihnen nicht frei, sich an dieser Aktion zu beteiligen“, sagte Schmelz, warf den Kollegen zwei Schreiben zu, in denen Kaltenbrunner und Waldeck Pymont dem Vorgehen bereits zustimmten.
„Ganz verstehe ich das noch immer nicht“, sagte Liebig, doch Tarnat wusste schon, worauf das alles hinauslief. Er versteckte das Gesicht in den Händen und stöhnte leise auf. Er schüttelte den Kopf und reagierte nicht auf Liebigs immer aufgeregter klingendes: „Was? Was? Was denn?“
„Darauf hat Sie doch Gestapomüller gebracht“, flüsterte Tarnat, doch Schmelz reagierte nicht. Er konzentrierte sich ganz auf den jungen Liebig, ließ den Blick nicht von ihm und erklärte so nüchtern wie möglich: „Es sieht wie folgt aus. Wir werden heute Nacht einen Mörder durch Mord überführen. Das ist das ‚Prinzip der Ausschließlichkeit‘. Halt, warten Sie, Liebig, ich erkläre es Ihnen. Sie sind doch ein fixer Junge, also begreifen Sie: Hoven hat Köhler durch Gifteinspritzung getötet. Damit hat er einen riesigen Fehler gemacht, weil Köhler kein Häftling war, sondern einer von uns. Somit stehen mir alle Türen offen, ich habe Deckung von allen Seiten. Er hat einen SS Mann ermordet, soweit klar?“
„Ja.“
„Heute Nacht werde ich vier Häftlingen, sowjetische Kriegsgefangene, die bereits wegen anderer Vergehen zum Tode verurteilt wurden, jenes Gemisch spritzen, das Hoven verwendet hat, um Köhler, Freudmann und May zu ermorden. Wir wissen, dass allein Hoven Zugang zu dieser Mischung hatte. Ich werde diese Mischung verwenden, die wir bei ihm sichergestellt haben. Anschließend werde ich die Leichen zur Uni Jena schicken und sie dort von Professor Doktor Doktor Timm untersuchen lassen, dem Leiter der dortigen Gerichtsmedizin. Sollte sich herausstellen, dass die Leichen der von mir Getöteten die gleichen Merkmale und Symptome aufweisen wie bei der Leiche von Köhler sowie dem Erbrochenen von Freudmann und May, das wir sichergestellt haben, dann ist damit bewiesen, dass Hoven der Täter war, weil er allein Zugang zu seinem Giftschrank hatte. Das ist das ‚Prinzip der Ausschließlichkeit‘, das verstehen die Amerikaner unter dem Begriff des Pragmatismus: ‚Wahrheit ist, was sich auszahlt‘. Das verbirgt sich in der Worthülse, Tatsachen schaffen, meine Herren.“
„Aber morgen ist Karfreitag“, sagte Liebig emotionslos. Wie geschockt wirke er, meinte Tarnat, der dessen große Augen sah, aus denen die Angst zu strömen schien. Er legte seinem Kameraden den Arm um die Schulter und sagte: „Es ist uns ja doch nicht freigestellt. Er befiehlt es uns ja.“
„Meine Herren, ich habe es mir lange überlegt, keine Frage, es gibt aber keine andere Möglichkeit. Wir können jetzt handeln, weil wir endlich die Obduktionsberichte in der Sache Köhler, Freudmann und May haben, wir können und müssen. Damit haben wir Vergleichsmöglichkeiten. Wenn Hoven so in die Enge getrieben wird, dann wird er auch Koch nicht mehr decken. Dann sind wir am Ziel! Und wie gesagt, ich habe den Befehl, dies zu tun!“
„Aber Sie sind auf den Plan gekommen“, sagte Liebig ängstlich: „Sie haben selbst vorgeschlagen, Menschen wegen einer Sache zu ermorden, wie reagiert da Ihr Gewissen?“
„Gewissen! Gewissen! – Das hier ist eine Front, und wir müssen den Feind erledigen, sonst erledigt er uns. Wir hatten schon kein Gewissen mehr, als wir Koch verhaftet haben, ohne einen Beweis zu haben. Und was geschah danach? Wir fanden Beweise! Jede Menge! Beweise wegen Unterschlagung! Diesmal machen wir es genauso und werden Beweise haben, die den sauberen Standartenführer des Mordes überführen“, sagte Schmelz, der so langsam die Geduld verlor. Am liebsten hätte er ja gebrüllt, Schluss mit den Worten, jetzt werde gehandelt, aber er war ja der Vorgesetzte! Er musste souverän bleiben, gerade jetzt.
„Aber morgen ist doch Karfreitag“, sagte Liebig wieder, und nun brüllte Schmelz doch, was kümmere ihn Ostern, was erlaube sich Liebig überhaupt, hier, in diesem verruchten Lager, von Ostern zu sprechen. Ob er den Verstand verloren habe? Im Konzentrationslager Buchenwald gebe es kein Osterfest! Hier gebe es gar keine heiligen Feste!
„Nein“, antwortete Liebig ruhig: „Ich meinte ja auch nur.“
Wieder beruhigte sich Richter Schmelz genauso
Weitere Kostenlose Bücher