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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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aber wurden nicht auf der Flucht erschossen, sie wurden von Sommer vorsätzlich zur Postenkette getrieben, wo sie erschossen wurden. Die anderen fünfhundertachtundneunzig Menschen also auch? – Wir haben gegen Sie ermittelt, Angeklagter Hoven: Sie waren an fast tausendeinhundert Mordfällen beteiligt. Entweder haben Sie diese gedeckt, oder Sie haben sie selbst begangen, Angeklagter Waldemar Hoven. Das sind Fakten.“
    „Ich habe nicht getötet, ich bin Arzt!“
    „Wollen Sie auf diesem Berg allein sitzenbleiben, Angeklagter Hoven? Nur Koch profitiert von Ihrem Schweigen, alleine er! Diese Ermordeten, die hätten Koch alle zum Verhängnis werden können. Sie saßen an Stellen, wo Unterschlagung im großen Stil begangen wurde. Sie wurden nach gewissen Zeiteinheiten ausgetauscht und kurzerhand ermordet, diese ganzen Häftlinge, alles von Koch persönlich motiviert, alles glasklare Mordfälle. Und nun, nun, wo er in Haft sitzt, lässt er sogar Leute der Waffen SS töten. Jeder, der etwas weiß, der stirbt. Stroink ist tot, Hackmanns Ehefrau, Köhler, wie sie auch alle heißen, und auch Sie werden dran sein, Sie und Sommer, auch die rechte und linke Hand wird Koch sich abschlagen, weil sie ihn verraten könnten, Angeklagter Hoven, verstehen Sie nicht: Retten Sie Ihr Leben! Retten Sie sich selbst! – Wenn Sie ausgesagt haben, nur dann sind Sie sicher! Dann kann Koch nichts mehr machen. Und zusätzlich bringen wir Sie in ein sicheres Versteck. Er oder vor wem auch immer Sie Angst haben, wird Sie nicht finden! Ich bin hier der verlängerte Arm vom Erbprinzen Waldeck Pymont und vom Reichsführer SS! Ich habe hier, in diesem pissigen Lager, mehr Macht als alle anderen zusammen, Mensch!“
    „Ich habe nicht getötet, ich bin Arzt!“
    „Vor wem haben Sie denn so große Angst?“
    „Vor Pohl! Gegen den kommt nicht einmal Himmler an.“
    „Wieso Pohl?“
    „Ich habe nicht getötet, ich bin Arzt!“
    „Wann hat das alles angefangen, mit den Unterschlagungen und mit den Mordfällen, die Sie begehen mussten?“
    „Achtunddreißig.“
    „Schon achtunddreißig?“, fragte Schmelz, verblüfft, eine Antwort erhalten zu haben. Er rückte ein wenig dichter an Hoven heran.
    „Ich habe nicht getötet, ich bin Arzt!“
    „Schon achtunddreißig?“
    „Ja, kurz nach der Judenaktion. Buchenwald ist ja eines der ersten Lager gewesen.“
    „Weiter!“
    „Ich habe nicht getötet, ich bin Arzt!“
    „Weiter!“
    „Ich musste gehorchen. Was kann mir schon passieren? Beihilfe, was? Mehr doch nicht. Ja, alle, die sich in bevorzugter Stellung befanden und auch nur die, die verdächtigt wurden, etwas zu wissen, wurden auf Befehl von Koch umgelegt. Von Sommer oder von Blanck. Ich habe lediglich den Tod festgestellt bei all den Häftlingen und die Akten gekämmt. – Ich meine, den Tod musste ich ja sowieso feststellen, irgendwann! Bei jedem der Häftlinge, die hier sind, früher oder später gehen die ja doch hops.“
    „Mann, wie viele Tote sind das denn gewesen?“
    „Ich habe nicht getötet, ich bin Arzt!“
    „Wie viele?“
    „Das kann ich unmöglich sagen. Tausende? In all den Jahren? Ich weiß es nicht. Es ging ja los, als die ersten Juden hier ankamen. Die hatten alle so viel Bargeld mit, das war der Hammer! Und Wechsel und Schmuck und was weiß ich noch alles. Das haben Koch und seine Männer ihnen dann alles abgenommen, doch dann wollte Koch nicht teilen und hat seine Männer umbringen lassen. Von Sommer! Niemals von mir! Später hat er willige Juden genommen, die dachten, sich so eine gute Stellung hier verschaffen zu können. Die standen Schlange bei Koch! Bis sich dann herumsprach, dass alle starben, die Sachen für Koch erledigten. Da fand Koch keine Freiwilligen mehr und hat sie sich willig machen müssen. Durch Sommer! Niemals durch mich! Durch Sommer oder auch mit Geld. Die Handlanger sind reich geworden, haben gutes Essen bekommen, durften, wann immer sie wollten, in den Puff, doch irgendwann wurden sie ja doch alle umgelegt und ihr Reichtum wanderte zurück in Kochs Tasche, und ich musste schreiben: ‚plötzlicher Herzstillstand‘ oder ‚auf der Flucht erschossen‘. Es mussten immer natürliche Todesursachen sein, damit es keine Untersuchungen gab. Ich meine, ist doch clever, Herzstillstand, das kann doch alles bedeuten und nichts, das kann man niemals nachweisen. Zuerst hatte ich ja versucht, immer andere natürliche Todesursachen zu finden, die ich schreiben konnte, aber wie wenige gibt es da schon! Bald

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