Letzte Haut - Roman
Ich prüfte den Bericht aufs Genaueste. Erst waren sie gesund, dann wurde Koch verhaftet, dann erkrankten sie ganz plötzlich an Typhus? So schnell geht das selbst bei dieser Krankheit doch nicht. Stündlich nach der Einlieferung wurde fortan die Körpertemperatur gemessen, die stetig stieg. Alle zwei Stunden wurde der allgemeine Gesundheitszustand der Patienten ausgewertet, der, wen wundert es, sich ständig verschlechterte. Und kurz nachdem sie vom Chefarzt Doktor Hoven untersucht worden waren, stellte man bei beiden Männern den Exitus fest. Das passt doch alles nicht, sagte ich mir, man behandelt doch im Lager Buchenwald keinen Häftling so, als wäre er ein sehr reicher Millionär in einem teuren Sanatorium! An der Sache ist doch was faul, sagte ich mir, stündliche Temperaturnahme! Alle zwei Stunden Grunduntersuchung! Für zwei ganz normale Häftlinge? Aber nein, halt, stopp, das waren ja gar keine normalen Häftlinge! Bei den Toten handelte es sich um die Insassen Freudmann und May, die, wie ich später herausfand, für Karl Koch auf dem Schwarzmarkt von Weimar Lebensmittel aus der Lagerküche verkauften. Die Tinte war noch feucht, mit der die Krankenberichte geschrieben worden waren! Obwohl die Erkrankung sich laut Berichte doch über zwei Monate hingezogen haben soll. Ich begriff, dass die Insassen Freudmann und May ermordet worden sein mussten, ermordet vom Chefarzt des Lagers, der zu allem Überfluss auch noch Totenscheine mit dem Vermerk ‚plötzlicher Herzstillstand‘ unterschrieb! Was nun? Waren Freudmann und May an Thyphus gestorben, wie es im Krankenbericht stand, oder starben sie eines natürlichen Todes, wie es auf dem Totenschein stand? Beides falsch, sie wurden ermordet! Ermordet von Doktor Hoven, und leider gelang es mir trotz sofort eingeleiteter Maßnahmen nicht mehr, die Leichen sicherzustellen, sie waren schon … sie waren schon …, also, sie waren eben schon weggeschafft worden.“
„Wann war das alles?“, fragte Ende.
„Das war vor gut einem Jahr, und zwar im Dezember dreiundvierzig und im Januar vierundvierzig.“
„Also ziemlich im ersten Drittel Ihrer Ermittlungen! Wie fingen diese denn überhaupt an?“
„Nun, der Anfangsverdacht ging ja nicht von mir aus, sondern von Obergruppenführer Waldeck Pymont, der mich im Juni dreiundvierzig von der Front holte. Bereits ein Jahr zuvor wurde dem Gerichtsherren dieses Oberabschnittes vom jungen Polizeibeamten Emil Holtschmidt Folgendes berichtet: Der Lebensmittelgroßhändler Schulz brachte in Weimar immer wieder größere Transporte Fleisch und andere Lebensmittel auf den Markt, von dem viel auf dem Schwarzmarkt verkauft wurde. Darauf von Beamten angesprochen, konnte der Händler keine Quittungen vorweisen. Gleichzeitig wurde Holtschmidt aber untersagt, seine Ermittlungen fortzuführen. Er jedoch hielt sich nicht an das Verbot seines Vorgesetzten, ermittelte weiter und stand kurz vor der Verhaftung dieses Händlers, der mit der Leitung des nahe gelegenen Lagers Buchenwald gemeinsame Sache machte. Unser aufmerksamer und rechtstreuer Polizeibeamter, der Kriminalsekretär Holtschmidt, fand heraus, dass der damalige Lagerleiter Koch und der Lebensmittelgroßhändler Schulz sich den Gewinn teilten, den sie daraus erzielten, das für die Häftlinge gedachte Essen eigenmächtig weiterzuverkaufen. Die Verhaftung stand, wie gesagt, kurz bevor, als dieser Großhändler von gestern auf heute in die SS eintrat. Dadurch war er aus dem Machtbereich der Kriminalpolizei herausgenommen, untersteht die Waffen SS doch, wie wir alle wissen, einer eigenen Rechtsaufsicht. Um die Sache weiterverfolgen zu können, brauchte man also einen SS Richter. Der Kriminalsekretär Holtschmidt nahm Kontakt mit dem Gerichtsherren Waldeck Pymont auf, und wie wir alle wissen, ist der Obergruppenführer ein Mitglied des alten deutschen Adels, und als solchem war und ist ihm Korruption von Beamten seit jeher verhasst. Wenn ich das sagen darf, der Obergruppenführer forderte von Himmler die Reinigung der SS von verabscheuungswürdigen Subjekten, und der Reichsführer SS willigte sofort ein, denn Unterschlagung ist ein Verbrechen gegen den Staat, wie wir alle wissen. Der Obergruppenführer recherchierte, wer für diese Ermittlungen geeignet sein könnte, und fand mich an der Ostfront. Ich nahm, kaum dass ich hier war, Kontakt mit dem Kriminalsekretär Holtschmidt auf, er übergab mir seine Ermittlungsergebnisse, und gleichzeitig sorgte der Obergruppenführer Kaltenbrunner
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